Ein ungewöhnlicher Wierer-Rücktritt

Sie hört auf. Und für einen Moment wirke ich tatsächlich wie vom Blitz getroffen. So kurz vor den Olympischen Spielen in Peking ist das ein eigenartiger Moment. Doch dann vertiefe ich mich in die Meldungen und es gibt Entwarnung. Nicht Dorothea Wierer, Italiens erfolgreichste Biathletin und eine der besten Sportlerinnen ihres Landes überhaupt, beendet ihre Karriere, sondern ihre Schwester Magdalena. Aber dann reibe ich mir doch die Augen. Mit nur 19 Jahren. Sie war praktisch nie wirklich in Erscheinung getreten. Es gab halt nur &bdquo;Doro“ und nie wirklich Magdalena. Schade eigentlich, denn meist, ja fast immer, waren es im Biathlon die Jüngeren, die nur am Anfang langsamer waren.

Mit der Zeit ließen sie ihre älteren Geschwister mit schöner Regelmäßigkeit hinter sich. Der jüngste Fall ist dabei noch hochaktuell. Johannes Thingnes Boe kam fünf Jahre nach seinem Bruder Tarjei auf die Welt und war noch ein Jungspund, als Tarjei 2011 die Weltcupgesamtwertung gewann. Erst ein Jahr später startete Johannes seine Karriere und sahnte bei seiner ersten Juniorenweltmeisterschaft gleich richtig ab. Dreimal Gold gewann er in Kontiolahti und ich kann mich tatsächlich noch gut an eine Aussage von Tarjei zu seinem Bruder erinnern. &bdquo;Auf den müsst ihr ein Auge haben“, sagte er seinerzeit. &bdquo;Der wir mal besser als ich.“ Prominente Beispiele Und Tarjei war ja gerade der beste Biathlet der Welt. Er sollte recht behalten, wobei die beiden Brüder noch immer gemeinsam in der Loipe und am Schießstand sind und auch in Staffelrennen gemeinsam Erfolge haben. Ich habe das ziemlich genau verfolgt und festgestellt, dass Tarjei Kraft aus den Siegen von Thingnes zog. Die beiden sind ein Herz und eine Seele und spielen dann und wann auch, wenn es die Zeit erlaubt, im Trainingslager eine Partie Billard miteinander. Hier gibt es, wie ich in Pokljuka erlebt habe, keinen klaren Vorteil für den Jüngeren oder den Älteren der beiden norwegischen Überflieger. Tarjei wehrte sich auch eine Zeitlang gegen die Tatsache, dass er das Familienduell wohl künftig im Biathlon verlieren würde.

Die Boe-Brüder sind seit vielen Jahren gemeinsam im Weltcup unterwegs. © APA/afp / TOBIAS SCHWARZ

Anders war es bei den französischen Fourcade-Brüdern, die vier Jahre trennen. Simon hat den Vorsprung der früheren Geburt nicht lange halten können, wohl auch, weil Martin ein Ausnahmeathlet war. Hier war Simon auf der einen Seite. Der harte Arbeiter, nicht mit so großem Talent ausgestattet. Und auf der anderen Seite war der Künstler, der Perfektionist, der Dauersieger mit seinen fünf olympischen Goldmedaillen und 14 WM-Titeln. Auch hier gab es eine Szene, die fest in meinem Kopf gespeichert ist. Es war die Weltmeisterschaft in Ruhpolding 2012. Martin gewann den Sprint und Simon kam mit zwei Strafrunden auf den fünften Platz. Es hat einem schier das Herz zerrissen, mit welch wehmütigen Blick Simon bei der Siegerehrung hinaufgeschaut hat, wo Martin in der Mitte mit der Goldmedaille stand. Simon hat unter dieser Situation gelitten. Der zweite Platz in der Staffel gemeinsam mit Martin war da nur ein kleiner Trost. Simon Fourcade hat diese Situation mehr und mehr belastet bis hin zur Depression.

Dagegen ging Dag Björndalen, der vier Jahre älter war als der letztlich legendäre Bruder Ole-Einar, relativ gelassen mit der Situation um, dass die familiäre Wachablösung schier nicht aufzuhalten war. Er freute sich, dass er vom außergewöhnlichen Talent seines jüngeren Bruders noch profitieren konnte wie bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano, als sie gemeinsam in der Staffel die Silbermedaille gewannen. Dag beendete seine Karriere 2004 und arbeitet heute in der Heimat als Trainer. Dass er eigentlich gegenüber Ole immer der bessere Schütze war, hat ihm nicht viel geholfen gegen den Wirbelwind in der Loipe aus der eigenen Familie. Es scheint im Biathlon gute Tradition zu sein, dass immer gleich mehrere aus einem Familienverband die Sportart betreiben.

Bei den Horchlers aus Deutschland waren alle drei Frauen aktiv. Die jüngste, Karoline, ist die erfolgreichste geworden. In Frankreich setzte sich der Trend hin zu den Jüngeren fort. Der älteste der drei Brüder Florent, Claude, ist sogar nach Belgien ausgewichen, als er merkte, dass er gegen Emilien und Fabien keine Chance haben würde im starken französischen Team. Bei den Wierers ist der Altersunterschied groß Ob der wohl eher zufällige Trend hin zu den jüngeren Geschwistern bei den Wierers weitergegangen wäre, werden wir leider nie erfahren. Allerdings ist der Altersunterschied mit 12 Jahren schon ziemlich groß im Vergleich zu den genannten Beispielen. Und außerdem ist im Augenblick gerade in Magdalenas Altersgruppe eine Menge Konkurrenz im italienischen Team entstanden. Es wäre deshalb alles in allem ein harter Kampf für Magdalena Wierer geworden. Den hat sie jetzt frühzeitig beendet mit einem Rücktritt, der nie einen Anfang hatte.

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