Sigi`s Spitzen: Darja Domratschevas Zwiespalt

Sigi Heinrich

Alexei Kudin, Weltmeister im Kick-und Thaiboxen. Ilja Litvinov, Eishockey-Juniorennationalspieler. Zwei Sportler aus Weißrussland, die von den Omon, der berüchtigten brutalen Spezialeinheit von Alexander Lukaschenko, schwer misshandelt wurden.

Bis jetzt hatte Darja Domratscheva, vierfache Olympiasiegerin im Biathlon, zu den Vorkommnissen in ihrem Land geschwiegen. Sie war nämlich der Liebling von Lukaschenko und ist in Weißrussland eine Legende. Aber sie war eben auch angestellt als Oberleutnant beim Geheimdienst, wobei das natürlich nur eine soziale Absicherung war. Sie musste nicht denunzieren oder observieren, sie musste Medaillen liefern. Das tat sie fleißig, weshalb sie bei Grundsteinlegungen von Krankenhäusern dabei war. Sie schenkte dem Machthaber Kopien ihrer Medaillen. Sie bekam ein wunderbares Grundstück an einem See, ganz in der Nähe ihres Gönners. In Weißrussland wird sein Monaten gegen das Regime protestiert. Der Staat reagiert mit voller Wucht. © APA/afp / SIARHEI LESKIEC

Nun scheint sich ihre Einstellung geändert zu haben. Aus naheliegenden Gründen, denn jetzt haben Lukaschenkos Schergen ihren Bruder Nikita krankenhausreif geschlagen. Blut tränkte seinen Kopfverband. Vermutlich hinterließen die Schläge auch Hämatome am ganzen Körper. Er war einer von 100.000 Demonstranten, die seit elf Wochen jedes Wochenende in Weißrussland auf die Straße gehen gegen ihren Präsidenten. Domratscheva hat jetzt immerhin dazu aufgerufen, die Gewalt zu beenden.

Es ist – leider- ein viel zu schwacher Protest. Sie hätte die Kraft und auch die Position, um mehr zu bewirken. Aber die Ehefrau von Ole-Einar Björndalen, die mit ihm als Trainerin in China arbeitet, lebt nicht mehr in ihrem tollen Haus in Weißrussland. Der Aufruf kam über die sozialen Medien und hat für sie persönlich vermutlich keine Konsequenzen. Eine Petition ohne Erfolgsaussicht Dagegen sind 15 Sportler kürzlich festgenommen worden, vier sollen noch im Gefängnis sein, mehr als 20 dürfen nicht mehr trainieren. Sie alle gehörten zu 900 Sportlern, die eine Petition unterschrieben haben, die dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) überreicht wurde und in der ein Ende der Gewalt gefordert wird. Angeführt wurde die Aktion von Alexandra Herassimenja, Weltmeisterin im Schwimmen.

Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass Alexander Lukaschenko seit 1997 auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Weißrussland ist. Der oberste Sportfunktionär also, der sich, wie üblich, gerne in den Erfolgen seiner Athletinnen und Athleten sonnte. Das hat man im übrigens auch schon prima gewürdigt. Lukaschenko wurde schon vor zwölf Jahren mit einem olympischen Orden &bdquo;für seinen herausragenden Beitrag zur olympischen Bewegung“ ausgezeichnet und zwar vom Europäischen Olympischen Komitees (EOC) und nicht, wie irrtümlich zunächst erwähnt, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Alexander Lukaschenko, Präsident und oberster Sportfunktionär in Weißrussland. © APA (AFP/BELTA) / ANDREI STASEVICH

Da tut es gut, dass das Europäische Parlament die &bdquo;Demokratische Opposition“ in Weißrussland vor ein paar Tagen mit dem &bdquo;Sacharow-Preis“ ausgezeichnet wurde. Benannt nach dem Friedensnobelpreisträger und Dissidenten der Sowjetzeit, Andrei Sacharow. Der internationale Sport schaut zu Endlich mal ein Zeichen, das dem nach Anerkennung aus dem Westen gierenden Lukaschenko zu denken geben könnte. Oder auch nicht. Denn zu weiteren Aktionen, die der Opposition helfen könnten, kam es bislang nicht.

Der Internationale Fußball-Verband (FIFA) will seinen Kongress nächstes Jahr in Minsk durchführen, auch wenn die Gefängnisse bis dahin nach voll sein sollten. Auch die Eishockey-Weltmeisterschaft 2021 soll weiterhin in Weißrussland ausgetragen werden (gemeinsam mit Lettland). Vermutlich wird Lukaschenko persönlich den ersten Puck spielen. Und das IOC? Verweist auf die olympische Carta. Sollte diese nicht eingehalten werden, würde man Maßnahmen und Sanktionen ergreifen, die in der Carta vorgesehen sind.

Das sind keine Krallen, die Lukaschenko angreifen, das sind Streicheleinheiten. Die Sportler, die gegen das Unrechtsregime aufbegehren, werden alleine gelassen. Und es ist ein Schlag ins Gesicht jener, die von der Staatsmacht verprügelt werden und dennoch immer wieder aufstehen wie der Fußballtorhüter Jewgeni Kostjukewitsch, der forderte, die Regierung solle endlich aufhören, ihr eigenes Volk zu ermorden. Er steht nicht mehr im Tor.

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