Biathlon: Die Formel 1 des Winters

Wir suchen sie fortwährend. Bei jedem Rennen, bei jedem Auftritt. Und immer erwarten und erhoffen wir uns einen klaren Aufschluss über die stets in der Luft liegende Frage: Wer ist der oder die Beste? War Michael Schumacher in der Formel-1 derjenige, der die Boliden am schnellsten über die verschiedenen Strecken jagen konnte? War er wirklich der beste Mann oder saß er nur im schnellsten Auto? Für die Fans der Motorsportbranche ist die Antwort vermutlich klar, denn Schumacher gewann Weltmeistertitel schließlich mit verschiedenen Autos, sogar mit Ferrari.

Dabei erwies er sich wohl nicht nur als exzellenter Chauffeur seiner Boliden, sondern auch als gewiefter Beobachter im Cockpit, der seine Erfahrungen mit seinem Fahrzeug so gut an die Techniker weitergeben konnte, dass diese Verbesserungen anbringen konnten. Ob seine Nachfolger über ähnliche Talente verfügen, ist schwer zu beurteilen, wie immer. Aber es wird interessant sein zu beobachten, ob es Lewis Hamilton gelingt, ähnlich wie &bdquo;Schumi“ die roten Flitzer aus Maranello zu ähnlichen Höchstleistungen zu bugsieren, denn vormals galt es ja schließlich als ungeschriebenes Gesetz, dass der Brite der Beste seiner Branche ist.

Formel-1-Ikone Michael Schumacher. © AFP / FRED DUFOUR

Den Ruf hat ihm dann der schnelle Max Verstappen kurzerhand weggenommen, weil er vielleicht auch im besten und schnellsten Renner saß. Wer weiß. Wie gesagt ist die Vergleichbarkeit nur schwer gegeben in einer Welt, in der Sportler nicht alleine auf ihre Talente bauen können. Wo Sportgeräte benötigt werden, schwingt auch immer in der Beurteilung der Leistung eben jenes Hilfsmittel mit, das zur Ausübung des Sports benötigt wird. Und sei es nur ein Schuh, um zu laufen. Auch hier ist zuletzt die Entwicklung rasant vorangeschritten.

Wer die früher handelsüblichen Treter verwendet, ist jetzt schon chancenlos. Die Laufwerkzeuge, wenn ich das mal so bezeichnen darf, haben jetzt eingebaute Karbonplatten, die in jedem Schritt einen kleinen Trampolineffekt ermöglichen. Auch das ermöglicht Marathonzeiten bei den Männern knapp über zwei Stunden, ja sogar unter dieser magischen Marke, wie das der Kenianer Eliud Kipchoge vor fünf Jahren in Wien unter optimalen Bedingungen schaffte.

Monstertrucks vor der Skipiste Im Augenblick steht das Materialthema wieder im Mittelpunkt etwa bei der Biathlon-Weltmeisterschaft im tschechischen Nove Mesto na Moravje. Dabei geht es nicht so sehr oder eigentlich gar nicht um die Gewehre oder schnellere oder langsamere Munition, was je nach Windstärke auch ein Thema sein kann. Es sind die Ski, die man zwangsläufig benötigt, um Biathlon ausüben zu können. Die Bedeutung der Präparierung der schmalen Latten wird klar, wenn man die Trucks begutachtet, die auf dem Parkplatz stehen.

Johannes Thingnes Boe, Norwegens Superstar. © ANSA / MARTIN DIVISEK

Es sind gewaltige Ungetüme. Viele davon können auch noch mit &bdquo;Ausladern“ nach links und rechts vergrößert werden. Im Langlauf etwa benutzen die Norweger sogar einen LKW, der auch in der Höhe noch eine zusätzliche Arbeitsfläche bereithält. Im Inneren werkeln fleißige Menschen und schleifen und wachsen Ski, die sie dann auf eigens dafür bereit gestellten Abschnitten der Strecke testen. Die Athleten verlassen sich meist auf das Können der sogenannten &bdquo;Techniker“ nach dem Motto: Die werden das schon richten.

Und dann kommt sie, die berühmte Gretchenfrage. Gewinnt jener Athlet oder Athletin, die auf dem Ski unterwegs war, der für die jeweiligen Schneeverhältnisse bestens vorbereitet war? Oder hätte der oder die auch auf einem Produkt der Konkurrenz gewinnen können? Provokativ gefragt: Hätte Johannes Thingnes Boe seine schnelle Laufzeit auch auf dem Ski von Johannes Kühn erreichen können? Beide haben die gleiche Skimarke. Doch das Produkt von Boe kam aus dem Truck der Norweger, das von Kühn aus jenem der deutschen Mannschaft. Das Ergebnis ist bekannt. Norwegen vor Norwegen und Norwegen und Norwegen.

Im Goldrausch: Julia Simon. © APA/afp / JOE KLAMAR

Und bei den Frauen wurde bislang bei der WM nur die Marseillaise gespielt, die französische Nationalhymne. Das verführt automatisch zu dem Schluss, dass die Technikabteilung des Deutschen Ski-Verbandes (DSV), die sogar zwei Trucks zur Verfügung hat (einen nur, um den Langlaufskiern den voraussichtlich besten Schliff zu verleihen) bislang einen Fehlgriff nach dem anderen getan hat. Oder waren vielleicht die Aktiven doch nicht in der Topform für eine Weltmeisterschaft? Es ist wie immer in einer solchen Situation wohl eine fatale Mischung mehrerer Problemstellen, die dazu führt, dass Deutschlands Skijäger bislang nur zwei sechste Plätze durch Franziska Preuss ins Feld führen können.

Neues Bindungssystem bei Lagreid Dazu kommen Innovationen wie etwa bei Sprintweltmeister Sturla Holm Lagreid, der ein neues Bindungssystem benutzt, an dem auch Ole Einar Björndalen mitgetüftelt hat. Wer weiß, vielleicht hat er auch deshalb bislang zwei Medaillen gewonnen. Andererseits ist er am Schießstand auch einer der besten Athleten. Ein Aspekt, dem vielfach im Moment bei der Diskussion um die Ski zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dennoch wäre es natürlich reizvoll, wenn man etwa sagen würde: Stopp. Alle Ski werden von einem Team vorbereitet, das sich aus Technikern aller Nationen zusammensetzt.

Das alles passiert unter Aufsicht der Internationalen Biathlon-Union (IBU). Die Skimarke darf weiterhin entsprechend den Verträgen der Athleten behalten werden. Es wäre zweifellos ein Schritt hin zu mehr Vergleichbarkeit aber es entspräche natürlich keineswegs dem Ehrgeiz und dem Antrieb aller im Sport aktiven Menschen, eben immer besser sein zu wollen als die Konkurrenz. In jeder Beziehung (Es ist also nur ein Tagtraum). Der Kampf wird stets weiter gehen. Auf der Stecke, auf welcher auch immer, aber auch und vielleicht sogar noch mehr in den Wachskabinen, den Werkstätten und Forschungsinstituten.

Es wird alles versucht, um immer möglichst optimale Bedingungen für die Athleten zu schaffen. Diese freilich unterliegen auch Formschwankungen oder Einflüssen, die keine noch so gute Technik ausgleichen kann. Und sie können Fehler machen, wie eben auch diejenigen, die für das Material verantwortlich sind. Davor ist niemand gefeit. Egal wo.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert darüber hinaus auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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