So mischen die Schwedinnen die Biathlonwelt auf

Brynje ist ein kleiner Weiler in der schwedischen Provinz Jämtland. Zwanzig Minuten fährt man mit dem Auto von Östersund Richtung Soleftea. Immer schnurgeradeaus bis zum Hinweisschild &bdquo;Brynje“. Nach vier Kilometern öffnet sich der Wald. Schmucke Holzhäuser verteilen sich auf einer Lichtung. Zwei Bauernhöfe fügen sich nahtlos ein. Es ist ein perfektes Idyll. Ich habe dort immer gewohnt während des Biathlon-Weltcups in Schweden. Meine Gastgeber, die ursprünglich aus Stockholm kamen und nun Nebenerwerbslandwirte waren, haben eine alte Vorratskammer in ein Ferienhäuschen umgebaut. Rustikal, mit offenem Kamin. Ziemlich frisch morgens um vier, aber dennoch urgemütlich. Und sie haben auch eine Pizzeria eröffnet in einem Nebengebäude, direkt neben dem Stall für die Kühe, die auch bei klirrender Kälte manchmal im Freien waren. Wenn sie denn wollten. Die Region der schwedischen Biathlon-Hochburg Östersund. © Sven-E. Hauschildt

Der Herr des Hauses, der tagsüber beim Forst im Wald arbeitete, setzte sich eine weiße Mütze auf, wie sie italienische Pizzaioli gerne tragen. Seine Frau, die den Hof bewirtschaftete und ihr selbstgemachtes Brot in der Umgebung verkaufte, ging ihm zur Hand. Würde man so einen Ort suchen, man würde ihn nicht finden. Es ist ein wahrgewordener Traum. Perfekt für eine Gruppe um mal loszulassen, um den Alltag zu vergessen am lodernden Holzfeuer des Pizzaofens. Ich habe Wolfgang Pichler mal von dieser besonderen Einkehr erzählt und prompt ist er mit der gesamten schwedischen Biathlon-Nationalmannschaft rausgefahren nach Brynje. Sie haben dort Kraft getankt, die Akkus wieder aufgeladen. Hanna Öberg, Mona Brorsson, Linn Persson, Peppe Femling, Jesper Nelin und Sebastian Samuelsson. Ein radikaler Neuaufbau Pichler wusste um die Bedeutung gruppendynamischer Prozesse und ihm war auch klar, dass der Trainingsalltag im nationalen Biathlonzentrum in Östersund auch ab und zu eine Pause benötigt. Wolfgang Pichler, der Ruhpoldinger, ist der erfolgreichste Biathlontrainer der Welt und wenn er sich jetzt schneller als gedacht von seinem Herzinfarkt, der ihn beim Rennradfahren an die Schwelle des Todes brachte , erholt, dann liegt das auch an den ständig guten Nachrichten, die er über &bdquo;seine“ Schweden erhält. Zehn Podestplätze haben sie bislang erreicht und sind die Mannschaft der Stunde. Schweden wird mit Frankreich und Norwegen in einem Atemzug genannt. Pichlers Saat ist aufgegangen. Er hat konsequent, ja (fast) schon stur, beim Neuaufbau 2015 auf die Jugend gesetzt, wollte erfolgreich sein bei den Weltmeisterschaften in Östersund 2019 und räumte dann schon ein Jahr vorher bei den Olympischen Spielen in Südkorea ab. Es ging damals ein Bild um die Welt, das Wolfgang Pichler zeigte mit noch einem bekannten Schweden neben ihm. Es war König Carl XVI. Gustaf, das monarchische Staatsoberhaupt.

Wolfgang Pichler ist im Biathlonsport eine Legende. © SID

Doch der eigentliche König war zu dem Zeitpunkt Wolfgang Pichler, jener unbeugsame und unbequeme Trainer, der bei aller Härte, mit der er vorging, immer auch Mensch geblieben ist. Und er hat sogar seinen Nachfolger selbst bestimmt. Johannes Lukas aus München, der einst selbst Biathlet werden wollte. Doch schon früh sagten ihm die Ärzte, dass ein Knorpelschaden im rechten Knie eine erfolgreiche Karriere unmöglich machen würde. Lukas reagierte auf die Diagnose, studierte Sportwissenschaften und begann ein Praktikum bei Pichler. Er machte alle möglichen Jobs, erledigte diese zur allgemeinen Zufriedenheit und als Pichler als Biathlontrainer aufhörte und zum nationalen Olympischen Komitee Schwedens wechselte, um dort seine Erfahrungen auf vielerlei Ebenen einzubringen, kam Lukas mit 25 Jahren in seine Position. Cheftrainer in Schweden. &bdquo;Er hat viel Abwechslung in den Trainingsalltag gebracht“ Mona Brorsson über Pichlers Nachfolger Johannes Lukas Nur zwei Jahre älter als Lukas ist Hanna Öberg, die dennoch von ihm schwärmt. Er sei fachlich kompetent, zeige Führungsqualitäten und überhaupt könne sie sich keinen besseren Coach vorstellen. Dabei hält sich Lukas im Hintergrund, lässt den Schweizer Jean-Marc Chabloz (Männer) und Johan Hagström (Frauen) am Schießstand durch das Fernrohr schauen. Nicht, dass Lukas die Öffentlichkeit scheuen würde, aber er braucht sie nicht. Wolfgang Pichler hat das ähnlich gehalten. Am Ende ist er doch berühmter geworden als seine Athleten. Lukas freilich ist einer, der aus der Mitte der Aktiven zu kommen scheint, die er betreut und für die er nun die Verantwortung hat. Das hat sich gegenüber Pichler, der auch unerbittlich sein konnte, geändert. Auch Mona Brorsson lobt den Neuen. &bdquo;Er hat viel Abwechslung in den Trainingsalltag gebracht“, sagt sie.

Die schwedische Mannschaft wirkt wie eine fröhliche Studententruppe, die sich gerade auf einem Winterausflug befindet. Und jetzt kommt bald auch noch Stina Nilsson hinzu. Die 27-jährige gewann bei Olympischen Spielen im Langlauf fünf Medaillen, darunter Gold im Sprint von Pyeongchang. Jetzt übt sie schon fleißig mit dem Kleinkalibergewehr unter der Anleitung von Jean-Marc Chabloz in Östersund. Viele sprechen bereits von einer neuen Magdalena Forsberg, die auch einst vom Langlauf zum Biathlon wechselte, dort sechsmal den Gesamtweltcup gewann und heute ein Idol und Vorbild ist. Das schwedische Biathlonmärchen geht also sicher weiter. Und der Geist von Brynje hält seine schützende Hand über diese sympathische Truppe, die ein Gewinn ist. In jeder Beziehung.

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