
Lisa Vittozzi beim Trainingslager in Ruhpolding. © Christoph Niederkofler
Lisa Vittozzi exklusiv: „Kann auch gefährlich sein“
Hinter Lisa Vittozzi liegen Monate voller Herausforderungen und Ungewissheiten, mittlerweile befindet sich die Gesamtweltcupsiegerin von 2023/24 auf dem Weg zurück in den Weltcup. In Ruhpolding stand die Ausnahmekönnerin SportNews Rede und Antwort. Dabei gab sie emotionale Einblicke.
26. Juni 2025
Aus Ruhpolding

Von:
Christoph Niederkofler
Es waren nur allzu vertraute Geräusche, die über den Schießstand in der Chiemgau Arena in Ruhpolding hallten. Eine Scheibe nach der anderen fiel, leere Patronenhülsen klackerten auf den Boden, Rollerski glitten über den heißen Asphalt. Ein Trainingslager wie jedes andere – und doch etwas Besonderes. Ein bestimmtes Gesicht zog die Aufmerksamkeit der rund 15 schaulustigen Gäste in der Arena auf sich. Nämlich das von Lisa Vittozzi.
Nach der schwierigsten Saison ihrer Karriere, in der sie aufgrund von starken Rückenschmerzen kein einziges Weltcup-Rennen bestreiten konnte, arbeitet sich die italienische Gesamtweltcupsiegerin von 2024 wieder Schritt für Schritt zurück. Dabei immer an ihrer Seite: der Ridnauner Trainer Alexander Inderst. Im exklusiven Interview mit SportNews erzählt Vittozzi von niederschmetternden Momenten, mentalen Herausforderungen, dem unvergleichlichen Gefühl der Rückkehr – und dem gemeinsamen Training mit Gesamtweltcupsiegerin Franziska Preuß.
Frau Vittozzi, wir sitzen hier buchstäblich bei Kaiserwetter. Wie fühlen Sie sich in Ruhpolding?
Lisa Vittozzi: „Es ist einfach schön, ich trainiere sehr gerne hier. Das Wetter ist gut, ich kann ein bisschen mit Franzi trainieren, sie ist sehr hilfsbereit. Wir leisten gute Arbeit und ich bin zufrieden damit.“
Wie kam es dazu, dass Sie gemeinsam trainieren? Kennen Franziska Preuß besser?
„In den letzten Jahren hatte ich die Gelegenheit, sie ein bisschen besser kennenzulernen. Sie hat mir sofort nach meinem Ausfall im Winter geschrieben und war für mich da. Sie hat mir auch Tipps gegeben, weil sie selbst Ähnliches durchgemacht hat. Diese Nähe habe ich gespürt. Und als wir hierherkamen, war sie dazu bereit, gemeinsam zu trainieren. Darüber bin ich sehr froh.“
Training mit einer direkten Konkurrentin: Ist es möglich, sich dabei zu vergleichen?
„In dieser Phase der Saison ist es schwer, sich direkt zu vergleichen. Aber ich kann schon sehen, wo ich stehe und ob ich mich auf einem guten Weg befinde. Ich trainiere jetzt schon eine Weile – nicht extrem viel, aber ich habe schon große Fortschritte gemacht, die ich so nicht erwartet hätte. Mein Körper reagiert gut und das freut mich.“
Wie sieht es mit den Rückenschmerzen aus? Sind sie noch da?
„Nein, die Schmerzen sind weg. Natürlich muss ich im oberen Bereich noch etwas Acht geben, weil ich da manchmal noch etwas spüre. Aber die starken Schmerzen, die ich vorher hatte, sind verschwunden.“
Seit wann?
„Seit etwa eineinhalb Monaten. Das geschah nicht von einem Tag auf den anderen, es war ein langsamer Prozess. Ich habe Reha gemacht und habe den Schmerz durch gezielte Übungen Tag für Tag besser in den Griff bekommen. Langsam konnte ich wieder das Training aufnehmen – natürlich nur schrittweise, nicht sofort bei 100 Prozent. Mein Körper hat sich allmählich wieder an die Belastung angepasst. Jetzt geht es mir besser.“
„Und wenn ich in der nächsten Saison wieder auf die Ski steigen kann, wird das für mich schon ein schöner Sieg sein.“ Lisa Vittozzi
In Ruhpolding haben Sie drei Weltcup-Siege gefeiert, nach einem äußerst schwierigen Jahr bereiten Sie sich hier auf die neue Saison vor. Fühlt sich allein diese Rückkehr schon ein bisschen wie ein Sieg an?
„Ich fühle mich in Ruhpolding immer wohl. Erstens, weil ich in Deutschland viele starke Rennen gelaufen bin und daher schöne Erinnerungen damit verbinde. Zweitens, weil ich hier immer schon gut trainiert habe. Das motiviert mich, gibt mir Ruhe und Gelassenheit. Und wenn ich in der nächsten Saison wieder auf die Ski steigen kann, wird das für mich schon ein schöner Sieg sein.“
Im Februar gingen Sie beim Volkslauf in Gsies an den Start, Ihre Teilnahme wurde bis zum Startschuss geheim gehalten. Wie wichtig war es, dieses Rennen ohne Druck zu erleben?
„Ich habe mich dazu entschieden, weil mir der Wettkampf einfach sehr gefehlt hat. Ich wollte es machen, ohne es jemandem zu sagen – einfach nur das tun, was ich liebe. Natürlich war es nicht die klügste Entscheidung, denn ich hatte noch Rückenschmerzen und spürte sie auch während des Rennens. Damals wollte ich es aber machen und habe durchgezogen. Ich wollte dieses Gefühl spüren, wieder dabei zu sein. Auch wenn es nicht im Weltcup war.“
War es aber die richtige Entscheidung?
„Ja, ich würde es wieder tun.“ (lacht)
„So habe ich nach und nach Vertrauen in mich selbst zurückgewonnen. Und ich habe langsam gespürt, dass mein Körper gut darauf reagiert – drei Monate lang war er am Ende gewesen.“ Lisa Vittozzi
Abgesehen von diesem besonderen Gefühl im Gsieser Tal: Was war in den letzten Monaten der wichtigste Moment?
„Es war wirklich schwer, vor allem im Dezember. Aber ich habe trotzdem versucht, Schritt für Schritt weiterzumachen. Mit Willenskraft und Entschlossenheit habe ich all das überwunden. Ich habe jeden Tag für sich genommen, das hat mir sehr geholfen. Nicht daran zu denken, was später kommt, sondern mich auf den jeweiligen Moment zu konzentrieren. So habe ich nach und nach Vertrauen in mich selbst zurückgewonnen. Und ich habe langsam gespürt, dass meine Physis gut darauf reagiert – mein Körper war drei Monate lang am Ende gewesen. Jetzt fühle ich mich endlich wieder wie eine Athletin und kann das tun, was ich liebe. Unabhängig davon, wie es in Zukunft laufen wird: Auch aus dieser Phase habe ich es rausgeschafft.“
Viele Athleten erzählen, dass eine Zwangspause etwas im Kopf verändert, in der eigenen Identität. Würden Sie sagen, dass Sie sich auch als Mensch verändert haben?
„Ja, ich spüre, dass sich etwas verändert. Ich habe mir nie die Zeit genommen, anzuhalten und zurückzublicken – nie darüber nachgedacht, was ich schon alles erreicht habe. Seit ich mit Biathlon angefangen habe, war immer alles in Bewegung. Auch wenn ich schon schwierige Phasen hatte, hatte ich nie so eine lange Zeit, um Dinge zu verarbeiten und nachzudenken. Ich habe gemerkt, dass es manchmal auch gefährlich sein kann, den Sport immer bei 100 Prozent zu leben. Man braucht auch Raum für sich selbst. Ich glaube, ich habe diese Pause gebraucht. Auch wenn sie erzwungen war. Ich war körperlich und mental am Limit. Jetzt gehe ich das Ganze viel entspannter an: Ich mache, was ich machen muss, aber versuche auch, den Rest zu genießen.“
Sie haben jetzt ein kleines, sehr eingespieltes Team um sich herum. Wie wichtig ist es, Menschen wie Alexander Inderst und Edoardo Mezzaro an Ihrer Seite zu haben, die Sie gut kennen und diesen Weg mit Ihnen gehen?
„Das ist sehr wichtig für mich. Alex kenne ich schon lange und habe immer enorm viel Vertrauen in ihn gesetzt – ich vertraue ihm völlig in dem, was wir tun. Und ich finde, das ist das Wichtigste: Wenn du überzeugt bist, dass du das Richtige tust, wird es auch gut laufen. Mit Edoardo habe ich schon vor zwei Jahren gearbeitet. Er ist sehr kompetent, weiß extrem viel und hat mir damals auch geholfen, mein Niveau wiederzufinden. Deshalb ist er auf jeden Fall eine wertvolle Unterstützung.“
Der Südtiroler Alexander Inderst (links) beim Training mit Lisa Vittozzi (rechts).
Die Olympischen Spiele sind noch weit weg, denken Sie trotzdem schon daran?
„Es ist natürlich das große Ziel der Saison. Aber im Moment denke ich nicht wirklich daran, es ist noch zu weit weg. Es kann noch so viel passieren. Ich versuche, Tag für Tag zu leben, Rennen für Rennen zu bestreiten und dabei immer in bestmöglicher Verfassung aufzutreten. Unabhängig davon werde ich allein schon darüber glücklich sein, beim ersten Weltcup-Rennen wieder auf den Skiern zu stehen - denn vergangene Saison war es hart, alles nur im Fernsehen verfolgen zu dürfen.“
Verspüren Sie mit Hinblick auf Ihr Comeback einen gewissen Druck?
„Nein, ganz ehrlich – nein. Ich muss nichts mehr beweisen. Alles, was ich in den letzten Jahren erreicht habe, reicht mir. Und wenn es mir reicht, dann sollte es auch den anderen reichen.“
Und zum Abschluss, das große Finale: Sie haben drei Wünsche – welche sind das?
„Aber wenn ich sie verrate, gehen sie nicht in Erfüllung! (lacht) Aber gut – ich wünsche mir, gesund zu bleiben, Spaß zu haben und ein glückliches Jahr zu erleben.“
Vielen Dank für das Gespräch.
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