Das Malheur mit den 4. Plätzen

Die Blicke sind leer. Suchend. Verzweiflung wohnt ihnen inne. Fragen stellen sich. Leise. Niemand hört sie. Warum? Warum ich? Warum heute? Wieso?

Die Zeitnahmen und Weitenmessungen sind unbestechlich und grausam in ihrer Wahrheit. Ein paar Hundertstel fehlen zur Medaille, ein paar Zentimeter. Kaum messbar. Es ist der berühmte Wimpernschlag, Der Versuch, dieser Zeitspanne irgendeine Größe zu geben. Einen Anhaltspunkt der Verzweiflung. Vierter Platz. Blech. Das berühmte Metall, das so hohl klingt und so bedeutungslos ist. Bei einem Weltcuprennen ist das kein Problem. Ja nicht einmal bei einer Weltmeisterschaft wird daraus eine große Sache gemacht. Pech. Aber von Blech spricht da niemand. Nur bei Olympischen Spielen ist der erste Platz nach den Medaillen an Brutalität vermutlich nicht zu übertreffen. Hofers schmerzhafteste Niederlage Viele hat es erwischt, wobei es natürlich Unterschiede in der Wahrnehmung gibt. Beim Verfolger der Biathleten etwa hat Lukas Hofer seinen Konkurrenten um die Medaille eine Runde lang vor der Nase gehabt und konnte ihn doch nicht einholen. Zweieinhalb Kilometer ständige Versuche nutzten nichts. Hofer sah auf der Strecke immer nur den Rücken seines russischen Kontrahenten Eduard Latypov und er sah auch, wie dieser über die Ziellinie rutschte und er noch einhundert Meter weit davon entfernt war. Es schien für einen Moment so zu sein, als wiche alles Leben aus Hofer. Es war die schmerzhafteste Niederlage seiner Karriere, obwohl er ein wirklich großartiges Rennen absolviert hatte. Vermutlich hätte er gerne einen Weltcupsieg gegen einen dritten Platz bei Olympischen Spielen eingetauscht. Wenn er zuhause ankommt, wird man ihm auf die Schultern klopfen. Bravo Lucki. Und es wird wieder weh tun. Vielleicht noch mehr als am Ende des Verfolgers.

Auch dem deutschen Kombinierer Manuel Faisst war das olympische Glück nicht hold. Im Unterschied zu Hofer aber wurde er erst im Zielsprint in die Blechkiste gedrückt. Er durfte viel länger noch als der Montaler um eine Medaille kämpfen. Tröstlich ist das letztlich nicht, denn am Ende bleibt auch beim ihm der Hals trocken und leer und ohne das Gewicht einer Medaille. Ein tolles Rennen war es natürlich trotzdem. Bravo Manuel. „Mein Leben wäre anders verlaufen nach diesen Spielen, wenn ich Gold gewonnen hätte.“ Frank Wörndl Diese vierten Plätze sind auch deshalb so schnell vergessen, weil in manchen Konstellationen sogar schon Silber als Niederlage gesehen wird. Der Eurosport-Experte Frank Wörndl kann ein Lied davon singen, das so traurig klingt wie ein portugiesischer Fado. Herzzerreißend. Er wurde 1988 in Calgary Zweiter im Slalom hinter Alberto Tomba. Nach dem ersten Lauf führte er noch. Am Ende fehlten ihm sechs hundertstel Sekunden zur Goldmedaille. Wie tief in diese Niederlage getroffen hat, macht ein Satz klar, den er mir später mal gesagt hat. &bdquo;Mein Leben wäre anders verlaufen nach diesen Spielen, wenn ich Gold gewonnen hätte.“ Dabei kam er in Kanada als Goldjunge an, denn ein Jahr zuvor war er Weltmeister geworden in Crans-Montana (Schweiz). Doch mit dem verpassten großen, ja allergrößten Sieg in seinem Sport verschwand auch dieser Titel. Er löste sich beinahe in Luft auf. Mit einer olympischen Goldmedaille hätten ihn Sponsoren umworben. Er wäre ein sehr bekanntes Gesicht im deutschen Wintersport geworden. Es ist nur Silber geworden, nicht mehr wert als ein vierter Platz in seinem Bewusstsein. Dennoch: Bravo Frank, mein Freund. Ich kenne ihn ja gut und ich weiß: Es nagt immer noch in ihm, dass der große Wurf damals nicht gelang. Immerhin fuhr er als Letzter im zweiten Lauf durch die Tore. Tomba war schon im Ziel. Er war alleine mit seiner Aufgabe und musste und konnte sich auch nicht an anderen orientieren. Er war auf Goldkurs. Die Enttäuschung kam deshalb wie ein Blitzschlag und traf ihn völlig unvorbereitet.

Wie bei Kira Weidle auch, der deutschen Abfahrerin, die vier Streckenabschnitte auf der Seidenstraße die schnellste war. Das hat man ihr später mitgeteilt, als im Ziel der Kopf nach vorne fiel und sie leise, aber vernehmlich stöhnte nach dem Blick auf die große Zeittafel. Wo liegen sie, die 14 hundertstel Sekunden, die fehlten zur Bronzemedaille, die sich die Grödnerin Nadia Delago sicherte? Nach einer gefühlten Ewigkeit kam der Versuch, das alles einzuordnen. &bdquo;Hätte man besser machen können“, meinte sie. Ein kleines bisschen natürlich. Aber es war gut, auf jeden Fall. Bravo Kira. Für einen Eintrag ins goldene Buch der Stadt Starnberg sollte es dennoch reichen. Das wäre wenigstens ein kleiner Trost. Ein kleines Gold gewissermaßen. Lena Dürrs Tränen Das sportliche Schicksal einer Blechfahrerin teilt sie sich übrigens mit der Slalomläuferin Lena Dürr aus dem deutschen Team, die sogar führte nach dem ersten Durchgang wie einst Wörndl. Am Ende reichte es nur zu Tränen. Dürr fehlten 0.07 Sekunden zur Bronzemedaille. Sie ist 30 Jahre alt und diese Saison war ihre mit Abstand beste. Sie ist zu einer Weltklassefahrerin gereift, war mehrmals im Weltcup auf dem Podium als Dritte. Als die Medaillengewinnerinnen aufgerufen wurden, setzte sie sich ihre verspiegelte Brille auf. Sie wollte alleine sein und sie war in diesem Augenblick wohl auch so alleine wie noch nie. Und dennoch: Bravo Lena.

Irgendwann wird sie wie Hofer, Faisst und alle anderen, die so denkbar knapp den großen Traum verpassten, diesem Resultat doch noch etwas Positives abgewinnen, auch wenn es schwerfallen wird, denn die Traurigkeit über die verpasste Chance ist ein hartnäckiger Wegbegleiter, zumal vermutlich in vielen Rennen nach den Spielen immer wieder darauf hingewiesen wird. So bohrt sich der Stachel immer weiter hinein in die Wunde. Und vermutlich wird sie nie ganz heilen, was wieder deutlich macht, dass es nichts Größeres gibt als Olympische Spiele, weil eben nur die Medaillen zählen. Dahinter beginnt mit dem vierten Platz das große schwarze Loch und die unendliche Leere einer unerfüllten Sehnsucht.

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Das Malheur mit den 4. Plätzen

Olympische Spiele können grausam sein, vor allem, wenn man nur denkbar knapp die Medaillen verpasst oder auf Goldkurs dann doch „nur“ Silber bekommt. Unser Kolumnist Sigi Heinrich, der für Eurosport kommentiert, hat sich ein paar prominente Beispiele dafür herausgesucht.

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