Der Sport bleibt auf seiner Insel

Noch ist der Winter nicht zu Ende. Zumindest sportlich gesehen stehen noch einige Veranstaltungen auf dem Programm. Die Eishockey-WM etwa wird erst im Mai in Finnland ausgetragen. Curling wird, auch als Weltmeisterschaft, derzeit von den Frauen in Schweden gespielt, später noch sind die Männer in Kanada dran. Eiskunstlauf gibt es natürlich auch noch. Wie alle Jahre wieder, selbst dann, wenn zuvor Olympische Spiele ausgetragen wurden, ist das so. Diesmal ist Japan der Austragungsort. Sogar die Langläufer lassen es noch nicht. Sprint geht immer lautet hier das Motto. Es geht einfach weiter. Immer weiter ohne alles zu hinterfragen. Terminpläne werden auf Jahre hinaus gestaltet, gerade so, als gäbe es da nichts, aber auch gar nichts zu bedenken.

Gletscherschmelze etwa, Wasserknappheit, fehlender Schnee in den Mittellagen und natürlich auch und erst recht in den Tälern. Doch jegliche Bedenken werden immer mit Schwung beiseite gewischt, getreu dem Motto, dass es noch immer weitergegangen ist. Von Endzeitstimmung ist da keine Rede und darf wohl auch nicht sein, denn das wäre natürlich geschäftsschädigend. Der Wintersport muss leben, muss überleben, auch wenn dafür mächtige Schneedepots angelegt werden müssen und Schneeaufbereitungsmaschinen wie Zinnsoldaten die Pisten säumen. Nachhaltigkeit? Später, später. Jetzt ist das alles noch zu früh, denn es hat ja, wie wir mittlerweile gegen Ende dieser Saison wieder wissen, funktioniert.

Die Rennen in Palisades Tahoe betrachteten viele als unnötig. © GETTY IMAGES NORTH AMERICA / SEAN M. HAFFEY

Reisen um die ganze Welt, quer durch die Kontinente wie etwa die Abteilung Ski alpin. Wegen eines einzigen Slaloms ist man schnell mal in die USA geflogen. Das alleine ist schon Wahnsinn. Doch krass ist der Umstand, dass alle das alles mitmachen. Nur selten regt sich ein klitzekleiner Widerstand. Dann tauchen ehemalige Stars auf, die früher widerstandslos in jedem Rennen gestartet sind und geben ihre mittlerweile doch krass veränderte Meinung zum Besten. Die Stunde der Experten hat geschlagen, die augenscheinlich unverzichtbar geworden sind. Doch auch deren Expertisen verpuffen und lösen sich in winterlicher Luft auf. Ich gehe jede Wette ein, dass auch noch in zehn Jahren etwa am Rettenbachgletscher im Ötztal Skirennen ausgetragen werden. Die warnenden Zeigefinger werden zwar immer mehr werden, aber zu mehr als einer Handvoll wird es nicht reichen.

Der Sport als Wirtschaftsfaktor Dabei stehen die Anzeichen auf Untergang. Aber natürlich will auch davon niemand etwas wissen. Es ist ja gerade noch so schön. Und Untergang ist ja auch ein wirklich böses Wort, das Assoziationen weckt, die man nicht will. Aufschwung klingt schon besser. Die Zahlen der Touristiker in der Welt sind kaum noch zu toppen. Auch in Südtirol ist alles wieder gut, man hat beinahe so viele Übernachtungen zu verzeichnen wie vor der Pandemie. Oder sind es schon mehr? Es kann, so hat man den Eindruck, wohl nie genug sein. Gröden bewirbt sich für 2029 um die alpine Ski-Weltmeisterschaft. Bei der Bewerbung ist natürlich auch viel von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit die Rede. Das muss längst auch so sein. Schließlich will man damit auch dokumentieren, dass man die Zeichen der Zeit erkannt hat.

In Gröden soll die WM 2029 stattfinden. © ANSA / ANDREA SOLERO

Ich will damit nicht gegen eine solche Großveranstaltung in Gröden intervenieren oder sie gar in Frage stellen. Die sportlichen Voraussetzungen sind nämlich bestens, die Pisten einer Weltmeisterschaft mehr als würdig. Aber muss es wirklich sein, wenn schon jetzt das ganze Tal unter dem Ansturm der Urlauber ächzt? Nein, es hat allenthalben und überall noch längst kein Umdenkungsprozess eingesetzt. Wir wollen keine Bedenken aufkommen lassen und außerdem ist der Sport ja quasi eine Art heilige Kuh. Veränderungen könnten die gewohnten Abläufe stören, möglicherweise gar dazu führen, dass vielleicht gar mal kein Stein auf dem anderen bleibt. Doch wer soll und will den Anfang machen? Die Antwort liegt auf der Hand. Niemand. Es ist schön, wenn man mal den Vorreiter macht aber bitte nur dann, wenn man sich daraus keine Nachteile einfängt. Der Sport, im Winter wie im Sommer, ist längst ein mächtiger Wirtschaftsfaktor geworden.

Gerade eben hat auch der wiedergewählte Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes (FIFA), Gianni Infantino, eine Vergrößerung des Teilnehmerfeldes bei der nächsten WM angekündigt. Und eine neue Club-Weltmeisterschaft soll auch ins Leben gerufen werden. Die nächste WM findet übrigens in Kanada, Mexiko und den USA statt. Recht viel klimaschädlicher geht es kaum noch. Wir schieben die bösen Gedanken, ob wir uns bei allem noch einklinken sollen, aber erst mal beiseite. Wie gesagt. Wir leben jetzt. Wir schon. Aber die nächste Generation? Die übernächste? Der Weltklimarat IPCC befürchtet für das Jahr 2023, in dem wir uns, zur Erinnerung, gerade befinden, drohende Katastrophen durch gewaltige Wärmeschübe in den Ozeanen.

Wohlfühloase Sport Das klingt apokalyptisch und wenig verheißungsvoll, wird aber von der Nachrichtenlage gestützt. Erdbeben, Überschwemmungen oder Wirbelstürme sind längst Teil aller Meldungen geworden. Dann doch lieber Sport, ein kleines Allheilmittel gegen den Weltschmerz. Der FC Bayern verliert, die Österreicher sind keine große Skination mehr und der FC Südtirol sorgt jede Woche für ein neues Wunder. Die Sonne scheint, der Himmel ist fast wolkenlos. Die ersten Schneeglöckchen und Narzissen streben zum Licht. Noch geht die Welt nicht unter, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wir sollten es sportlich sehen. Bald kämpfen wir zurück. Aber jetzt noch nicht. Es ist gerade bequem so.

Der Autor: Sigi Heinrich Der vielfach preisgekrönte Sportjournalist und TV-Kommentator (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal zum Nachdenken anregend oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Heinrich war nach seinem Sportstudium an der TU München zehn Jahre Redakteur der Süddeutschen Zeitung und gehört seit 1989 zum Team von Eurosport.

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