In tödlicher Mission

Jetzt wird erst einmal ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt. Jammern, tatsächlich grenzübergreifend, steht auf der Tagesordnung, weil die Olympischen Spiele und Paralympics in Mailand und Cortina keine Bahn für Bob, Skeleton und Rodeln bekommen.

Zum einen explodierten die Preise für den erforderlichen Neubau und dann fanden sich wohl auch deshalb nicht mal Bauunternehmer. Die Frage, was die Olympiaverantwortlichen seit dem Zuschlag für die Veranstaltung 2019 gemacht haben, um zeitgerecht und vielleicht noch einigermaßen kostenverträglich zu agieren, darf erlaubt sein. Erst jetzt, fast schon im Jahr 2024, wird das Dilemma offensichtlich. Zwischendurch hat man übrigens die Erweiterung der Eisschnelllaufbahn in Baselga di Pinè bereits im Januar dieses Jahres klammheimlich beerdigt. Die Messe Mailand springt ein, obwohl in Trient schon 2019 etwa Junioren-Weltmeisterschaften ausgetragen wurden.

Die veraltete Bahn in Cortina wurde mittlerweile abgerissen. © Hermann Sobe

Wohin also mit den Kufensportlern? Innsbruck stünde bereit, muss aber kräftig investieren (mit Hilfe von italienischem Geld?). Die Eisgewaltigen aus Deutschland, deren Meinung in verschiedenen Gremien viel Gewicht hat, würden die Variante Tirol bevorzugen, weil die eigene Bahn in Königssee, die von einem Erdrutsch zerstört worden war, erst in einigen Jahren fertig sein wird. Die Möglichkeit St. Moritz liegt den Deutschen nicht, denn die Schweizer haben ihre Naturbahn nicht so lange geöffnet wie die Nachbarn in Österreich, wo man früher und öfter trainieren könnte. Deutschlands Eismeister denken da egoistisch. Sogar das weit entfernte Oberhof hat sich gemeldet. Allerdings ist das eine weltfremde Idee, denn in Thüringen kann man nur rodeln.

St. Moritz kann immerhin mit einer italienischen Variante der ganz besonderen Art punkten und sich sogar gefühlsmäßig an die Spiele ankoppeln. Die letzte Naturbahn der Welt – und schon das spräche für die Schweizer - wird nämlich jedes Jahr mit Südtiroler Knowhow gebaut von 14 Arbeitern aus Naturns. Auch Frankreich mit der Olympiabahn von 1992 in La Plagne wirft plötzlich ein paar Eiswürfel ins Spiel. Die einzigen, die wirklich jammern dürfen und alles Recht dazu haben sind die Bobfahrer und Rodler aus Italien, die nun wohl nie mehr eine eigene Bahn bekommen und auch auf den Heimvorteil 2026 verzichten müssen. Das ist die eigentliche Tragik.

Eine alte Idee lebt neu auf Aber vielleicht ist das in Zeiten, in denen hohe Zäune und Grenzkontrollen wieder verstärkt in Mode kommen, ein fast schon versöhnliches Zeichen. &bdquo;Senza Confini“. &bdquo;Ohne Grenzen“. Gerne erinnere ich mich noch an die Bewerbung von Kärnten, Friaul und Slowenien für die Austragung Olympischer Spiele für das Jahr 2006. Ich habe damals auch einen Botton an meinem Pullover befestigt. Ich fand das toll. Drei Länder, eine Idee, ein Europa. Und das unter dem Zeichen der Olympischen Ringe. Es hat nicht geklappt bei der Wahl 1999. Turin hat dank des nicht unerheblichen Einflusses seinerzeit von Gianni Agnelli die Spiele bekommen. Mit einer neuen Bob-und Rodelbahn übrigens, die längst nicht mehr existiert. Es war damals definitiv zu früh für &bdquo;Senza Confini“. Die Olympische Charta sah Spiele im Grenzbereich noch nicht vor.

Doch gerade die Tatsache, dass nun definitiv 2026 aus der Not heraus in zwei Ländern die Winterspiele ausgetragen werden, könnte einem neuerlichen Anlauf für eine neue, spannende Bewerbung über Grenzen hinweg frischen Schwung verleihen. Die alte Idee lebt nämlich. In Klagenfurt betonten jüngst Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und Matjaz Han, der zuständige slowenische Minister für Wirtschaft, Tourismus und Sport, dass man den jeweiligen nationalen Verbänden einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten wolle. Frühestens 2034 wäre der angepeilte Termin. Viele Sportstätten wären in Slowenien und Österreich schon vorhanden und sofort nutzbar, obwohl man nach den jüngsten Erfahrungen mit Mailand/Cortina bei dieser Thematik vorsichtig sein muss. Nachhaltigkeit scheint mittlerweile vor allem ein viel genutzter Deckmantel für Versäumnisse zu sein. Immerhin kann man beiden Interessenten attestieren, dass der Wintersport bei ihnen zu Hause ist.

Länderübergreifend ist längst aktuell Die Zeit wäre demnach reif für &bdquo;Senza Confini“, denn eigentlich ist es ja fast schon ein Treppenwitz, dass länderübergreifende Olympische Spiele bislang ein Tabuthema waren (Die Reiterspiele in Stockholm für die Spiele in Melbourne 1956 waren wegen der Quarantäne für die Pferde eine Ausnahme). Handballspieler oder Volleyballer tragen ihre Turniere längst in verschiedenen Ländern aus. Und der Internationale Fußball-Verband (FIFA) organisiert 2030 gar eine Weltmeisterschaft in sechs Ländern auf drei Kontinenten. Allerdings gibt es für Kärnten und Slowenien auch ein eisiges Problem. Es fehlt tatsächlich eine Bob- und Rodelbahn. Und da kommt Italien vielleicht doch wieder ins Spiel. Mit einer Bahn in Cortina d'Ampezzo. Wenn man jetzt begänne, mit der ersten Kurve vielleicht, dann könnte man doch in acht Jahren den letzten Kreisel fertiggestellt haben und sich anhängen an die mögliche slowenisch-österreichische Bewerbung. Bis dahin legen wir immer wieder mal die DVD ein mit dem James Bond-Film: &bdquo;In tödlicher Mission“. Roger Moore (respektive sein Stuntman) rast da bei einer wilden Verfolgungsjagd auf Skiern die Bobbahn in Cortina hinunter. Es sind fast schmerzhafte Erinnerungen.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi's Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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