Sigi's Spitzen | Lange Sperre auch ohne Doping

Blöd gelaufen. Könnte man salopp formulieren. Nicht gedopt und trotzdem gesperrt. Für sage und schreibe 20 Monate. Für Spitzensportler ist das mehr als nur eine Zwangspause. Es kann auch das Ende einer Karriere sein. Dass es auch einem Berufsverbot gleichkommt, ist eine andere Geschichte und müsste im Grunde auch genauer beleuchtet werden. Madeleine Egle (27) aus Tirol wird, sollte sich nichts mehr ändern am Strafmaß, nicht an den Olympischen Spielen im nächsten Jahr quasi fast vor der Haustüre auf der neuen Anlage in Cortina teilnehmen können.

Im Schnelldurchlauf nur sei der Sachverhalt geschildert. Sie hat drei Dopingtests verpasst. Sie war dreimal nicht anwesend oder hatte keine exakten Angaben über ihren Aufenthaltsort gemacht. In einem, dem letzten Fall, hatte sie bei einem Teamaufenthalt in den USA zwar die Adresse im ADAMS-Meldesystem (Anti-Doping Administration and Management System) eingetragen, aber die Nummer ihres Appartements vergessen. Als sie diese, so ihre Aussage, nachtragen wollte, funktionierte das Internet nicht.

Egle feierte in ihrer Karriere zahlreiche Erfolge. © dpa / Martin Schutt

Jetzt ist sie von der Rodel gefallen, respektive auch aus allen Wolken. Die Vergehen ereigneten sich im Jahr 2023. Dass erst jetzt die Strafe bekannt wird, nachdem sich das Verfahren dazu 20 Monate hingezogen hat (zufällig die Länge ihrer Sperre) ist angesichts des Zeitpunktes der Olympischen Wettbewerbe im kommenden Februar besonders tragisch.

Drei verpasste Tests ist gleich Doping Rechtlich gesehen mag das seine Ordnung haben sein, denn nach dem Anti-Doping-Code entsprechen drei verpasste Tests innerhalb von zwölf Monaten einem Dopingvergehen. Und es stellt sich zunächst auch die übliche und bequeme Reaktion ein: Es wird schon was dran sein, wenn sie dreimal nicht dort war, wo sie sein sollte. Aber zählt das Leben bis zu diesem Zeitpunkt nichts? Alle bisherigen richtigen Dopingtests von ihr waren negativ. Sie war nie auffällig. Höchstens als Athletin, die immerhin bei zwei Olympischen Spielen einmal Bronze und einmal Silber gewann im Team-Wettkampf für Österreich. Sie ist eine der besten Rodlerinnen der Welt, war Europameisterin und gewann 14 Weltcuprennen. Und ja, ich halte gerne ein Plädoyer zu ihren Gunsten, denn für mich ist die Verhältnismäßigkeit der Strafe vollkommen überzogen.

Madeleine Egle zählt zu den besten Rodlerinnen der Welt. © dpa / Martin Schutt

Für Fehler, klar, muss man büßen. Irgendwie. Das kennen wir auch aus unserem Leben, auch wenn so manche Strafe schon früher ungerecht war. Aber man sollte, wie man es auch sonst bei Beschuldigten tun sollte, genau hinschauen, denn Egle hat auch klar dargelegt, wie es zu ihrem Missgeschick kam. Und wir, die Beobachter am Rand der Eisrinnen, sollten sich ihre besondere Situation auch vor Augen führen. Wie das etwa wäre, wenn wir jeden Tag, ich betone, jeden Tag, den uns der Hergott schenkt, angeben müssten, was wir wo jetzt so planen.

Ein plötzlicher Kinobesuch verbietet sich, wenn wir morgens angegeben haben, dass wir zuhause vor dem Fernseher sitzen. Ein Spaziergang, kurzfristig angesetzt, ist auch nicht drin. Den hätten wir schon morgens planen müssen. Freiheit sieht anders aus. Mich würde das nerven und zudem würde ich mich ja dauernder Kontrolle ausgesetzt sehen. Aber das ist nur eine Seite der Geschichte. Die andere sind Vergleiche. Nachweislich gedopte Athleten oder natürlich bitte gerne auch Athletinnen, kommen mit kürzeren Sperren davon, obwohl in ihren Proben verbotene Substanzen gefunden wurden.

Egle hat keine Lobby Auch wenn es manche nicht mehr gerne hören wollen: Jannik Sinner wurde zweimal in einer Woche positiv getestet. Die Sperre, verhandelt mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA): Drei Monate, die zudem in einem Zeitraum abgesessen wurde in dem keine wichtigen oder großen Turniere stattfanden. Sinner hat glaubhaft dargelegt, dass er keine Schuld trug. Sein Masseur hatte die Salbe mit dem verbotenen Mittel Clostebol seinem Körper zugeführt. Alles gut. Im Zweifel für den Angeklagten. Gleiches Recht für alle? Es gibt unter den Gleichen auch solche, die Gleicher sind. Wichtiger. Für ihren Sport etwa.

Sinner ist die Nummer eins. Im Tennis. Madeleine Egle ist bloß eine Kunstbahnrodlerin. Sie betreibt eine Randsportart. Ob sie nun auf ihrem Schlitten sitzt oder nicht registrieren nur Insider. Einschaltquoten verändern sich nicht mir ihr. Bei Sinner ist das natürlich anders. Nach der Federer-Nadal-Ära ist der Südtiroler wichtiger denn je für seinen Sport, was sein Strafmaß möglicherweise auch beeinflusst hat. Seine Fachverbände standen jedenfalls hinter ihm. Über seinen Dopingbefund sieht man längst nonchalant hinweg.

Madeleine Egle hingegen, die nachweislich nie verbotene Mittel genommen hat, sieht sich vor den Trümmern ihrer Karriere, denn sie hat keine Lobby, die hilfreich ist, wenn Urteile gesprochen werden. Auch außerhalb der Sportgerichtsbarkeit, die sowieso irgendwann in Frage gestellt werden wird. Ich hoffe, dass Egle juristischen Beistand erhält und der Österreichische Rodel-Verband sich ihrer annimmt und nicht nur verbal gegen das Urteil wettert, das schlicht und einfach unverhältnismäßig hoch ist, betrachtet man viele andere richtige Dopingfälle.

Eine rückwirkende Suspendierung für Madeleine Egle, ein halbes Jahr ab 1. Juni 2025 etwa, wäre eine vertretbare Strafe, die ja auch das Meldesystem nicht in Frage stellen würde. Im Zweifel für die Angeklagte kann indes in diesem Fall nicht angewandt werden. Die Schuld ist ja bewiesen und wird nicht abgestritten. Aber ist sie so groß, so fürchterlich, dass man Madeleine Egle gleich ihren Lebensinhalt nehmen muss?

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis) ausgebildeter Sportlehrer, Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Eine Sperre von 20 Monaten für die Kunstbahnrodlerin Madeleine Egle aus Österreich aufgrund von drei verpassten Dopingtests empfindet unser Kolumnist Sigi Heinrich als unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu vielen anderen Fällen, in denen reale Substanzen nachgewiesen werden konnten.

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