Sigi's Spitzen | Unvergessliche Sportstunden

Manchmal führt der Zufall Regie und das auch noch auf ganz wundersame Art und Weise. Beim unruhigen Zappen nach einem sehenswerten Programm blieb ich kürzlich bei ORF 1 hängen und wurde für meine Ausdauer belohnt. Mit einem Schlag überbrückte ich 47 Jahre. Gerade so, als würde beamen schon funktionieren wie bei Captain Kirk und Mr. Spock (der mit den großen Ohren) vom Raumschiff Enterprise.

Ich war plötzlich in Innsbruck am &bdquo;Patscherkofel“ und sah Menschen in seltsamen Kleidern. Sie trugen enganliegende, knallgelbe Rennanzüge und rasten eine Piste hinunter, die mit Holzzäunen gesichert war, was man heutzutage als schieren Wahnsinn bezeichnen würde. Und ich erkannte Franz Klammer und sah seine Fahrt noch einmal, die ihn zum Helden für immer machte, als wäre es gestern gewesen. Der Sieg im epischen olympischen Duell gegen den Schweizer Bernhard Russi, der zum zweiten Mal in Folge die Goldmedaille in der Abfahrt gewinnen wollte. Doch Klammer, der wilde Hund, verhinderte dies.

Legende im Ski-Sport: Franz Klammer. © APA / Bernhard Grossruck

Er attackierte von oben bis unten. Seine Ski, so hatte man den Eindruck, waren mehr in der Luft als auf dem Schnee. Es war ein Tanz auf einem Vulkan. Sein oder Nichtsein hieß augenscheinlich die Devise. Dagegen ist die heutige Fahrweise seiner Nachfolger fast schon gediegen zu nennen, zumal sie auf feinsten, planierten Strecken zu Tal rasen. Ich sah Klammers Husarenritt leider nicht vor Ort in der Tiroler Metropole. Ich war in München, studierte Sport an der Technischen Universität. Doch viele Studienkollegen wollten sich wie ich auch dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Was tun?

Vor dem TV-Gerät eines Elektrogeschäfts Wir ließen die Vorlesungen sausen, beauftragten weniger Skiinteressierte, unsere Unterschrift unter den Anwesenheitsbogen zu fälschen und fuhren mit der U-Bahn in die Innenstadt auf der Suche nach einer Gelegenheit, die olympische Abfahrt zu sehen. Wir wurden fündig. Vor einem Elektrogeschäft in Schwabing war ein Fernsehgerät so platziert, dass man von außen alles sehen konnte. Der Kommentar war nicht wichtig. Wir waren ja alle auch Skilehrer, ausgebildet an der Uni in zwei zehntägigen, ziemlich intensiven Kursen in Saalbach-Hinterglemm. Wir stritten uns um die besten Plätze, krochen förmlich hinein in das Schaufenster.

Feiert seinen 70. Geburtstag: Franz Klammer. © APA / HANS PUNZ

Die Nasen klebten an den Scheiben, die zum Glück nicht zu Bruch gingen. Wir waren alle Klammerfans, weil er so heroisch und unkonventionell unterwegs war. Bernhard Russi, der Grandseigneur aus der Schweiz gegen den Bauernbuben aus Kärnten, der schier die Gravitationsgesetze außer Kraft setzte. Der eigentlich verbotene Ausflug hatte sich gelohnt. Danach zurück an die Uni? Das Abenteuer, im Vergleich zu Klammer nur ein winziges natürlich, musste noch begossen werden. Morgen war ja wieder ein Tag mit Schwimmen, Leichtathletik, Turnen und diversen Vorlesungen. Und dann war Wochenende. Skifahren, natürlich. Ein bisschen Klammer spielen.

Spektakel im Dschungel Ich ordne die olympische Abfahrt 1976 in meiner persönlichen Rangliste der bedeutendsten Sportereignisse ganz vorne ein. Ein weiteres prägendes Ereignis gab es zwei Jahre zuvor am 30. Oktober 1974. Sportfans werden jetzt vermutlich gleich mit Recht elektrisiert sein. Es war der &bdquo;Kampf des Jahrhunderts“ im Boxen zwischen Weltmeister Georg Foreman und Muhammad Ali. Als &bdquo;Schlägerei im Dschungel“ wurde er bezeichnet, weil er in Zaire stattfand, der heutigen Demokratischen Republik Kongo.

Muhammad Ali. © AFP / -

100.000 Zuschauer waren anwesend. Noch nie zuvor hatte es in Afrika ein derartiges Ereignis gegeben. Und in Deutschland brach der Weckdienst der Deutschen Post zusammen, weil Millionen den Fight um drei Uhr morgens nicht versäumen wollten. Mein Vater gehörte dazu und ich quälte mich natürlich auch aus den Federn für acht irre Runden, in denen Ali hauptsächlich in den Seilen hing, bis Forman die Luft ausging. Der Herausforderer holte sich seinen Titel zurück. Den markigen und wie immer großspurigen Worten von Ali (&bdquo;Ich habe mit Krokodilen gekämpft, um mich vorzubereiten“) folgten Taten. Der Tänzer im Ring gewann die Auseinandersetzung zweier Olympiasieger und niemand, der dieser Nacht in paar Stunden gestohlen hatte, bereute das. Für mich steht der Kampf an Nummer zwei hinter Klammer aber doch noch auf einer Ebene mit den zwei Goldmedaillen von Rosi Mittermeier auch in Innsbruck.

Markenzeichen rote Haare Und dann wäre da noch der jüngste Grand-Slam-Sieger im Tennis aller Zeiten. Sein Markenzeichen: Rote Haare, wie Jannik Sinner aus Sexten, der sich gerade anschickt, in seiner Heimat ein Held zu werden, vor allem nach dem Gewinn des Davis-Cups in Verbindung mit dem zweiten Sieg gegen Novak Djokovic und der Abwehr dreier Matchbälle. In Südtirol ist gerade ein kleiner Tennis-Boom ausgebrochen. Boris Becker hat damals auch eine Zeitenwende eingeläutet in Deutschland. Tennis war plötzlich in, nachdem er Kevin Curren am 7. Juli 1985 im Finale in Wimbledon besiegte.

Der Südafrikaner hatte zuvor die Elite reihenweise aus dem Weg geräumt: Stefan Edberg, John McEnroe und auch Jimmy Conners. Er galt als Favorit. Aber Becker war wie Klammer. Er spielte so wie kein anderer. Er hechtete nach den Bällen und raste nach seinen starken Aufschlägen ans Netz, als wären Hummeln hinter ihm her. So brachte er Curren total aus dem Konzept. Es war die Geburtsstunde eines großen Champions und auch die habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Natürlich ist das nur ein Auszug aus vielen wahrlich unvergessenen Erlebnissen als Sportfan und später auch als Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator bei Eurosport. So viel ist passiert in all den Jahren und doch ist es aus irgendeinem Gefühl heraus tatsächlich Franz Klammer, der sich wie ein Brandzeichen in mir verewigt hat. Vielleicht liegt das auch daran, dass er im selben Jahr wie ich das Licht der Welt erblickt hat. Möglicherweise, das hoffe ich, ist es ein guter und langlebiger Jahrgang.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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