
Für Lucas Pinheiro Braathen ist Sölden weit mehr als nur ein Auftakt. © TEYSSOT / Pierre TEYSSOT
Braathen: Wenn alle Gefühle wieder hochkommen
Lucas Pinheiro Braathen und Sölden – es ist der Inbegriff einer Achterbahnfahrt. Im Interview mit SportNews spricht der Paradiesvogel des Ski Alpin von seinen Gefühlen und einer Geschichte, die einen besonderen Platz verdient.
25. Oktober 2025
Aus Sölden

Von:
Christoph Niederkofler
Wenn Lucas Pinheiro Braathen einen Raum betritt, zieht er die Menschen darin in seinen Bann. Das gelingt dem 25-Jährigen auch ganz ohne Skier, Helm und Medaillen oder Trophäen. Charismatisch, nachdenklich und sehr bedacht in seiner Wortwahl stellte sich der Techniker am Donnerstagabend an einer Hotelbar in Sölden den Fragen der anwesenden Journalisten. Dabei suchte er stets den Augenkontakt, verzichtete auf altbekannte Floskeln und vermittelte das Gefühl: Der Riesenslalom am Sonntag (10.00/13.00 Uhr) ist mehr als nur der Auftakt in irgendeine Weltcup-Saison.
„Da geht eine Sonne in meinem Herzen auf“, meinte Braathen im Gespräch mit SportNews auf die Frage hin, was er beim Gedanken an eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Mailand und Cortina d'Ampezzo in den Nationalfarben Brasiliens verspürt. „Es würde den Wandel ankurbeln, den ich mir wünschte.“ Was er damit meint? Nun, es ist eine Geschichte über Triumphe, einen Rücktritt und einen Lebenswandel. Ganz im Stile eines Kammerspiels war der Schauplatz dabei stets Sölden.
Braathen: Einmal hoch, zurück – und ganz nach oben
„Wenn ich zurückblicke, kommen all die Gefühle wieder hoch“, schilderte Braathen seine Gefühlswelt. Vor nunmehr fünf Jahren feierte der damalige Ski-Norweger im Riesenslalom von Sölden den ersten Weltcupsieg seiner Karriere. In den Jahren darauf entwickelte er sich zu einem der ganz heißen Eisen in der Ski-Elite, in der Saison 2022/23 folgte die kleine Kristallkugel im Slalom. Dann der Paukenschlag: Im Oktober 2023 verkündete er in Sölden seinen sensationellen Rücktritt, nur um ein Jahr später – erneut am Rettenbachferner – sein Comeback unter brasilianischer Flagge zu geben.„Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich das herausforderndste und nervenzerreißendste Rennen vor meiner Brust.“ Lucas Pinheiro Braathen
„Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich das herausforderndste und nervenzerreißendste Rennen vor meiner Brust. Ich musste enorm viel Druck standhalten“, erinnerte sich Braathen. Es sei eine drastische Lebensentscheidung gewesen, „von einem Land wie Norwegen, das überall im Wintersport verankert ist, zu einer Nation zu wechseln, die es bisher kaum bis ins Starthaus schaffte“, führte er weiter aus.
Lucas Pinheiro Braathen geht seit einem Jahr für Brasilien auf Punktejagd. © APA / EXPA/JOHANN GRODER
Auf seinem Weg habe er viel Kritik einstecken müssen, unzählige Menschen taten plötzlich ihre Meinung über seinen Lebenswandel kund. „Am Ende des Tages hatte ich nur ein Ziel: Für mich selbst Ski zu fahren – und nicht für andere“, hob der fünfmalige Weltcupsieger hervor. „Mein vierter Platz im vergangenen Jahr hat gezeigt, was möglich ist, wenn man einfach man selbst sein darf. Darum geht es im Sport: Inspirieren, indem du deine wahres Ich auslebst.“
Braathen: „Auf den Straßen von Rio angehalten“
Mit seinem ersten Weltcupsieg seit Adelboden im Jänner 2023 klappte es zwar nicht, historisch war die vergangene Saison trotzdem allemal: Die ersten Punkte für Brasilien in der Weltcup-Geschichte und insgesamt fünf Podestplätze verhalfen Braathen auch am Zuckerhut zu einer gewissen Prominenz. „In den vergangenen Monaten bin ich tatsächlich zum ersten Mal hier und da auf den Straßen von Rio de Janeiro angehalten und gefragt worden, ob ich denn nicht dieser verrückte Brasilianer auf den Skiern bin. Das allein erfüllt mich mit enorm viel Stolz“, erzählte er mit einem breiten Grinsen.„Mein Ziel sind keine Medaillen – ich will inspirieren, dass jeder seinem eigenen Glauben folgen kann.“ Lucas Pinheiro Braathen
Sein Bekanntheitsgrad in der Heimat seiner Mutter könnte in wenigen Monaten einen weiteren bedeutenden Schub bekommen. In der Geschichte der Winterspiele errang Brasilien noch keine einzige Medaille, ein neunter Platz im Boardercross durch Isabel Clark Ribeiro vor 19 Jahren in Turin war die bislang höchste Platzierung. Doch das olympische Edelmetall löst bei Braathen nicht die erwartete Begierde aus. „Die Olympischen Spiele sind die größte Plattform, die es gibt“, merkte er an. „Mein Ziel sind keine Medaillen – ich will inspirieren und zeigen, dass jeder seinem eigenen Glauben folgen kann.“
Eine „Ikone der Alpen“
Es ist eine Geschichte, die im Wintersport einen besonderen Platz verdient – das dachte sich auch der Tourismusverband aus dem Ötztal, als er die Partnerschaft von Braathen und dem Skigebiet Sölden verkündete. „Sölden ist mein zweites Zuhause. Das letzte Mal hier war das schönste Rennen meiner Karriere. Es war eine spirituelle Erfahrung“, schwärmte er. „Man hat dieses Heimatgefühl.“Wohin führt es Lucas Pinheiro Braathen in der kommenden Saison? © ANSA / JEAN-CHRISTOPHE BOTT
Für diese zweite Heimat agiert er als Gesicht der Winterkampagne „Icon of the Alps“, im Gegenzug darf der etablierte Ski-Exot Sölden als Trainingsbasis verwenden. Doch wie blickt so eine „Ikone der Alpen“ eigentlich auf die anstehende Saison. „Gemeinsam mit meinem Team habe ich alle Höhen und Tiefen der vergangenen Saison analysiert. Zudem habe ich Sommer noch intensiver daran gearbeitet, mit mir selbst verbunden zu sein“, blieb er seinem nachdenklichen Ansatz treu.
Darüber hinaus habe sich Braathen vor Augen geführt, wozu er fähig ist. „Mit all den Gedanken im Hinterkopf habe ich ein großes Vertrauen in mein Potenzial, in dieser Saison etwas Einzigartiges zu erreichen“, unterstrich er und schloss mit einem gelassenen und zufriedenen Gesichtsausdruck ab: „So ruhig habe ich mich vor einer Saison überraschenderweise noch nie gefühlt.“
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