
Eine Frohnatur aus Haiti: Céline Marti begeistert bei der WM. © det
Der heimliche Star: Diese Ski-Exotin erobert die WM-Herzen
Eine Ski-Weltmeisterschaft ist nicht nur das Schaulaufen der Superstars, sondern auch jene Zeit, in der die kleinen Nationen auf die große Bühne dürfen. Diese Ski-Exoten machen die WM so besonders. Vor allem Céline Marti aus Haiti hat es den Franzosen angetan – vielleicht auch wegen ihrer bewegenden Geschichte.
19. Februar 2023
Aus Méribel

Von:
Thomas Debelyak
Kurz vor dem Ziel geht Céline Marti noch einmal in die Hocke. Sie duckt sich, macht sich klein, will die Bremswirkung so gering wie möglich halten. Ein alter Skifahrer-Kniff ist das. Céline wirkt entschlossen, als sie sich schließlich über die Ziellinie wirft, und dann euphorisiert, als sie sich wieder aufrichtet. In ihrem Gesicht ist ein breites Lächeln auszumachen, die Faust hat sie ohnehin schon energisch gen Himmel gestreckt. Links von ihr jubelt der persönliche Fanclub, vor ihr bekommt sie Beifall von den Zuschauern, die noch im Stadion sind.
Im ersten Moment klingt das nach einer ganz gewöhnlichen Zieleinfahrt, wären da nicht diese feinen kleinen Unterschiede. In Méribel ist es an diesem Donnerstag 11.41 Uhr, der erste Durchgang des Damen-Riesentorlaufs läuft nun schon seit fast zwei Stunden. Auf Martis Brust ragt die Nummer 113, sie ist also die vorletzte Athletin, die an den Start gegangen ist. Und mit einem Rückstand von 58 Sekunden auf Mikaela Shiffrin wird Marti dieses Rennen an letzter Stelle abschließen.
„Ich habe es ins Ziel geschafft, das war mein großer Wunsch.“ Céline Marti
Ärgern tut sie sich deswegen aber nicht, im Gegenteil. „Ich habe es ins Ziel geschafft, das war mein großer Wunsch. Weiter oben, da bin ich fast ausgeschieden. Ich sagte mir aber: 'Nein, du musst jetzt drin bleiben. Du musst ins Ziel kommen!'“, wird sie nachher im Gespräch sagen.
Helfer wollen ein Foto, Fans ein Autogramm
Céline Marti ist eine Ski-Exotin. Sie kommt ursprünglich aus Haiti, einem Inselstaat in der Karibik. Skifahren? Das ist dort bei einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von rund 28 Grad nicht möglich. Trotzdem vertritt Marti ihr Geburtsland bei der Weltmeisterschaft in Courchevel und Méribel.Schreibt für ihre Fans fleißig Autogramme: Céline Marti. © det
Sie ist eine jener Exotinnen, die diesen Titelkämpfen ein besonderes Flair verleiht. Und eine, die bei allen gut ankommt. So plaudert sie nach dem Rennen minutenlang mit ihren Fans, die eigens für sie angereist sind. Unzählige Helfer wollen ein Foto mit ihr, einige junge Zuschauerinnen auf der Tribüne eine Autogrammkarte, die sie aus ihrem Rucksack hervorkramt und mit persönlicher Widmung signiert.
Als Baby auf der Straße gefunden
Vielleicht ist es auch ein bisschen Martis Geschichte, die aus ihr eine so besondere Exotin macht. Die Skifahrerin war noch ein Baby, wenige Monate alt, als sie auf einer haitianischen Straße von Missionaren gefunden wurde. Ihr Gesundheitszustand war nicht gut, doch Marti kam durch – und wurde von einem Paar aus Genf adoptiert. Seitdem lebt sie in der Schweiz. „Mit 12 Jahren lernte ich Skifahren und habe danach auch Ski-Kurse gegeben“, sagt die Frohnatur. „Irgendwann kam der haitianische Verband zu mir und fragte mich, ob ich nicht zur Weltmeisterschaft fahren möchte. Ich sagte: Warum nicht?“ 2017 bestritt Marti in St. Moritz ihr erstes WM-Rennen, seitdem war sie bei jeder Auflage dabei.Ein Schnappschuss mit dem Superstar: Marti (rechts) mit Mikaela Shiffrin bei der Ski-WM 2019 in Åre. © APA / EXPA/DOMINIK ANGERER
Dass sie dabei immer ganz hinten zu finden ist, stört die Haitianerin nicht. Klarerweise auch, weil Marti kein Profi ist. „Ich arbeite als Polizistin, bin auch bei der freiwilligen Feuerwehr. Und ich bin Mami“, sagt sie stolz und zeigt auch gleich zu ihrem Fanclub, wo die 14-jährige Tochter Johana mittendrin ist.
Glücklich, das Geburtsland zu vertreten
„Ich gehe oft Skifahren und trainiere auch manchmal mit anderen Athleten. Mir macht aber auch Langlaufen und Triathlon sehr viel Spaß“, so Marti. Was denn ihr Ziel bei einer Weltmeisterschaft ist? „Heil ins Ziel kommen“, lacht die Ski-Dame und ergänzt: „Es ist eine Ehre, für Haiti anzutreten. Wenn jemand aus meinem Geburtsland zuschaut und sieht, da fährt jemand für sein Land, dann ist er glücklich. Und auch die anderen Leute sehen, dass Sportler aus Haiti Skifahren können.“Céline Marti in Aktion beim WM-Riesentorlauf in Méribel. © AFP / FABRICE COFFRINI
In zwei Monaten wird Céline Marti 44 Jahre alt. Ein stolzes Alter für eine Skifahrerin, das weiß sie selbst. „Meine Knie sind nicht mehr dieselben wie noch vor ein paar Jahren“, bedauert die Ski-Exotin. Trotzdem soll es das mit den Weltmeisterschaften nicht gewesen sein. „In zwei Jahren, da will ich noch einmal dabei sein. Aber dann ist vielleicht auch mal gut.“ Und was kommt dann? „Meine Tochter fährt auch Ski. Vielleicht tritt sie ja in meine Fußstapfen. Das wäre sehr schön.“
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