Ein Beben erschüttert den ÖSV

Berge und das dazugehörige Gipfelglück. Auch im Winter oder gerade dann, gibt es im Alpenraum phantastische Touren, die eine Aussicht offerieren, als wäre man gerade auf einem Gipfel oberhalb von 6000 Metern. Rundblicke, Ausblicke. Es ist eine Seelenwanderung für das Auge und das Angebot ist reichhaltiger gedeckt als ein übervoller Gabentisch an Weihnachten. Jetzt ist auch die Zeit der Ski-Elite. Der Fußball ruht, der Schnee knirscht unter den Schuhen und waghalsige Männer rasen doch tatsächlich eine Eispiste hinunter. Die &bdquo;Stelvio“ in Bormio etwa. Längst sind die Zeiten vorbei, in den es noch so wunderbar herrliche Pulverschneefahnen gab, wenn man einen langgezogenen Schwung ansetzte. Jetzt kracht und rumpelt es. Um sogenannte faire Bedingungen für alle zu gewährleisten, werden Schussfahrten der Elite mehr und mehr zu einer ungewissen Fahrt auf gefrorenem Untergrund.

Selbst Weltklasseskifahrer wie Dominik Paris aus Ulten, der diese Abfahrt schon siebenmal gewann, sah diesmal kein Land, auch wenn er Zehnter wurde. Die Platzierung mag ein wenig versöhnlich sein. Der gewaltige Zeitrückstand auf den Sieger Vincent Kriechmayr aus Österreich von mehr als zwei Sekunden ist indes dramatisch und seine Fahrt war es auch. Paris war nicht derjenige, der den Berg angegriffen hat. Es war umgekehrt und es bewahrheitete sich im Grunde der alte Spruch, dass derjenige, der den Berg fürchtet, auch dessen Gnadenlosigkeit zu spüren bekommt. Paris, dessen Können über jeden Zweifel erhaben ist, vermittelte im Grunde in jeder Sekunde seiner Fahrt mehr Unsicherheit als ungebrochenes Selbstbewusstsein. Seine Körpersprache hatte nichts zu tun mit Angriffslust, sondern nur mit vorsichtiger Herangehensweise. Dass es dennoch zum besten Saisonresultat reichte, drückte im Grunde nur aus, dass er nicht alleine ziemlich verloren war beim Kampf gegen diese &bdquo;zache Piste“ wie es der Sieger Vincent Kriechmayr ausdrückte.

Österreichs Dominanz ist Vergangenheit Immerhin ein Österreicher, einer aus dem Land, das sich den alpinen Skisport als Kulturgut auf die Fahnen geschrieben hat. Es gibt eine Postkarte auf der steht: &bdquo;Sechs Österreicher unter den besten Fünf“. Es gibt sogar einen Roman, der diesen Titel trägt. Und ich erinnere mich an einen Super-G am Patscherkofel 2008, als die neun gestarteten Österreicher die Plätze von eins bis neun belegten. Gewonnen hat natürlich Hermann Maier. Diese Zeiten sind dahin, vorbei und irgendwie geschmolzen wie der Schnee im Frühjahr. Die Skination Nummer eins, so das Selbstverständnis in Österreich, verliert zunehmend an Einfluss und das in jeder Beziehung. Zweitbester Austria-Pilot war in Bormio Daniel Hemetsberger, der übrigens auch schon über 30 Lenze zählt, auf dem elften Platz. Die prominenten Rücktritte der vergangenen Jahre haben den österreichischen Skisport ausgezehrt. Jetzt erschüttert auch noch das überraschende Ende der Karriere von Matthias Mayer die Alpenrepublik.

Matthias Mayers Rücktritt schockt den ÖSV. © APA/afp / JOE KLAMAR

Der Wechsel in der Führung des Verbandes auf allen Ebenen hat zudem durchgängige Kontinuität verhindert. Neue Helden, wie sie die Schweizer haben etwa mit Marco Odermatt (Jahrgang 1997) sind nicht in Sicht. Für Österreich ist das besonders dramatisch, weil nach der Leseart des ehemaligen Präsidenten des Verbandes, Peter Schröcksnadel, Sport und Tourismus als Einheit zu sehen ist. Erfolgreiche Athleten und Athletinnen sollen die besten Werbeträger sein und für volle Hotels und hohe Auslastung in den Skigebieten sorgen. Diesem Anspruch wird man jetzt im Moment nicht mehr gerecht. Weil es vor allem auch bei den Frauen im ÖSV-Kosmos derzeit nicht rund läuft und schnell schon gar nicht, ist die Tonart rauer geworden. Patrick Ortlieb, Mitglied des Vorstandes und Olympiasieger 1992 in der Abfahrt, hat gar die Keule ausgepackt. Er moniert zu große Kader, zu viele Trainer und macht gar eine Komfortzone aus. Und er greift die ehemaligen Funktionäre an. &bdquo;Es ist schon fast beschämend, was wir übernommen haben und jetzt wieder versuchen, aufzubauen“, sagte er in der Sendung &bdquo;Sport und Talk“ bei Servus-TV. Oh ja, die Nerven liegen blank, zumal der ÖSV 2025 mal wieder die Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm ausrichtet.

Ohne Elite keine Mannschaften Die österreichische Problematik ist indes kein Alleinstellungsmerkmal. Es ragen in allen Ländern vor allem einzelne Superstars heraus. Kilde oder Kristoffersen in Norwegen, Odermatt und Holdener in der Schweiz, Shiffrin für die USA, Brignone in Italien oder Vlhová für die Slovakei. Verletzungen jener Elite treffen die Teams in ihrer Gesamtheit. Thomas Dreßen, Deutschlands bester Abfahrer, fehlt an allen Ecken und Enden und ein Blick auf das Riesenslalomergebnis am Semmering macht deutlich, dass der Deutsche Skiverband (DSV) in dieser Kerndisziplin des alpinen Skisports total abgewirtschaftet hat. Eine Nachfolgerin für Viktoria Rebensburg ist weit und breit nicht in Sicht. Und so wird wieder einmal deutlich, dass man in Zeiten des Erfolges mit Weitblick vor allem die Zukunft planen muss. Was jetzt etwa bei Dominik Paris noch zählt, ist der Augenblick, sind kleine Fortschritte, obwohl er höchstes noch sich selbst beweisen muss und vielleicht auch will, dass er ein Ausnahmeskifahrer ist. Hohe Weihen hat er genug erhalten. Jetzt ist er sogar Ehrenbürger von Bormio geworden. Ein eisiger König. Es war ein geschickter Schachzug, denn natürlich muss er als Regent noch das eine andere Mal antreten, denn Paris und die &bdquo;Stelvio“ sind untrennbar miteinander verbunden, auch wenn es diesmal &bdquo;zach“ war.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis und Bayerischer Sportpreis), Buchautor und TV-Kommentator, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert mitunter auch außerhalb seines gewohnten Reviers. Mal mit verschmitztem Augenzwinkern, mal bierernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Er begleitete den alpinen Skizirkus zunächst von 1985 an für die Süddeutsche Zeitung (u.a. bei den Weltmeisterschaften in Bormio, Crans Montana und Vail) und war ab 1991 für Eurosport am alpinen Mikrophon

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