Kein Platz für Wintersport

Auf die Plätze, fertig, los. So hatte sich das der Internationale Ski-Verband (FIS) wohl gedacht, getreu einem weiteren Motto: Je früher, desto besser. Doch der Startschuss ging nach hinten los. Noch zu einem Zeitpunkt, an dem die Apfelernte noch immer in vollem Gang ist, wollte der Skisport die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Die Funktionäre wohlgemerkt, die Industrie, die Tourismusverbände wollten das, aber nicht die Aktiven, denn die sind nicht dafür, schon im Oktober etwa in Sölden ein Skirennen durchzuführen. Man würde sich stattdessen lieber noch auf die Saison vorbereiten.

Doch der Terminplan nimmt – egal in welcher Sportart – auf seine Protagonisten schon lange keine Rücksicht mehr. Das große Jammern darüber ist nur ein leises, kaum vernehmbares Stöhnen. Letztlich nämlich beugen sich fast alle dem Druck der augenscheinlich von vielen Seiten vorhanden zu sein scheint. Doch der Krug, fragil modelliert und deshalb auch durchaus zerbrechlich, geht auch in diesem Fall solange zum Brunnen, bis er bricht. Jannik Sinner etwa, der so bravourös in das ATP-Finale in Turin mit dem Sieg über den Griechen Stefanos Tsitsipas gestartet ist, hatte zuvor in Paris schon mal die Reisleine gezogen. Der Südtiroler kam bei diesem Turnier kaum noch zu vernünftigen Zeiten ins Bett.

In Zermatt konnte kein Herren-Rennen stattfinden. © APA/afp / MARCO BERTORELLO

Sinner freilich ist mittlerweile in einer relativ komfortablen Situation. Seine vielfältigen Einnahmen geben ihm ein gewisses Maß an Freiheit, das er nutzen kann, wenn er spürt, dass es zu viel wird. Natürlich muss er dennoch bezüglich seiner Punkte, die bei den Turnieren vergeben werden, genau taktieren. Aber er hat mehr Gestaltungsmöglichkeiten und auch die Möglichkeit, sich dem Terminwahnsinn zu widersetzen als viele seiner Kollegen und Kolleginnen in anderen Sportarten. Längst wird er froh sein aus vielerlei Gründen, dass er sich seinerzeit für Tennis und gegen den alpinen Skisport, für den er wohl auch talentiert zu sein schien, entschieden hat. Er ist zu großen Teilen noch sein eigener Herr, zumindest soweit das seine vertraglichen Bedingungen zulassen.

Dominik Paris ohne Einfluss Dagegen ist etwa Dominik Paris aus Ulten ein Gefangener des Systems, in dem er seinen Sport ausübt. Der erfolgreichste italienische Abfahrer ist wie alle anderen ein Spielball aller deren, die am Skisport und seinem Umfeld verdienen wollen. Diejenigen, um die es angeblich eigentlich geht, die Aktiven, werden nie gefragt. Die neue Abfahrt von Zermatt nach Breuil-Cervinia ist ein typisches Beispiel dafür. Sportlich gesehen ist sie nämlich wertlos. Hans Knauß, Medaillengewinner bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, stellte der neuen Piste ein Armutszeugnis aus. Bei einer weichen Naturschneeunterlage gäbe er eine eins, die niedrigste zu vergebende Note, sagte er im ORF-Radio.

Die Athleten waren in der Warteschleife. © ANSA / JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Sie sei, so der österreichische TV-Experte, noch leichter als Lake Louise. Die Abfahrt in Kanada, die nun nicht mehr im Kalender auftaucht, hat nur ein paar schnelle Kurven. Die &bdquo;Gran Becca“ hat hingegen nur ihre ausgesetzte Streckenführung mit dem Start über 3700 Meter, die sie als Besonderheit in die Waagschale werfen kann. Deshalb müssen wir uns keine Sorgen machen, wenn am kommenden Wochenende die Damen dort dann endlich die Premiere bestreiten werden, nachdem die erste Herrenabfahrt dieser Saison vom Wind verblasen wurde.

Viel Lärm um nichts, wie schon im vergangenen Jahr. Natürlich sind Absagen im Ski-Weltcup nie zu vermeiden. Im November freilich ist die Gefahr instabiler Verhältnisse stets präsent. Das wissen alle, doch wird dieses Wissen schlichtweg ignoriert, ja fahrlässig übergangen. Die Folge ist ein neuerlicher Imageschaden für den Skisport, der auch medial in dieser Zeit sowieso nur eine Nebenrolle spielt. So mancher kann seine Schadenfreude nicht verhehlen ob der zwei Absagen in zwei Tagen für das große prestigeträchtige Abfahrtsspektakel. Die Leidtragenden sind die Athleten, die nur einen Trainingslauf hatten, als die Sonne mal schien, ansonsten aber hauptsächlich in den Gondelbahnen saßen und das ist bekanntermaßen trainingswissenschaftlich gesehen nicht unbedingt der letzte Schrei.

Kaum Aufmerksamkeit für Lena Dürr Natürlich ist es einfacher für die Techniker, die Slalom und Riesenslalom bestreiten, Pisten auch jetzt schon zu finden. Siehe Levi in Finnland, wo vor allem die Rentiere im November besonders nervös sind, denn entweder heißen ihre neuen Besitzer Petra Vlhova aus der Slowakei oder Mikaela Shiffrin aus den Vereinigten Staaten. Ansonsten muss man vielfach schon in vielen Medien das Kleingedruckte lesen, um in Erfahrung zu bringen, was sonst noch so passierte im hohen, schneesicheren Norden.

Dass zum Beispiel Lena Dürr aus dem Lager des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) zweimal hintereinander auf dem Podest landete, einmal als Zweite und einmal als Dritte, verkam zu einer Randnotiz. Das hätte im Dezember oder in jedem anderen Wintermonat eine längere Reportage zur Folge gehabt. Diesmal tauchte Dürr im Morgenmagazin des öffentlich-rechtlichen Deutschen Fernsehens (ARD und ZDF) nur im &bdquo;Kurzsport“ auf. Das klingt wie Abstellgleis und musste genügen, denn es ist eben noch nicht richtig Ski-Winter. Der Fußball hat alles im Griff. Und weil zwei deutsche Teams bei der Handball-Klubweltmeisterschaft im Finale standen (Magdeburg gewann gegen die Füchse aus Berlin) war für Wintersport schlicht nicht mehr Platz. Selbst das Gastspiel zweier Football-Teams aus den USA in Frankfurt bekam mehr Sendezeit als die beste deutsche Skirennläuferin.

Die mangelnde Resonanz vieler Medien sollte ein Weckruf sein für die FIS, die ja fast flächendeckend alles abdeckt, was mit Skisport zu tun hat (Ausnahme ist Biathlon), sich endlich dem Ablauf des Jahres und vor allem der Jahreszeiten anzupassen. Nicht jeder hat es so gut wie Jannik Sinner, der als Tennisspieler eine Ganzjahressportart bestreitet.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

Fußball

Italien

Internationale Ligen

International

Eishockey

Tennis

Wintersport

Mehr

Motorsport

Radsport

Wassersport

Favoriten

Kein Platz für Wintersport

Kommentare (0)