Kolumne | Ein Schuss Paris in der Vinatzerei

Irgendwas läuft falsch. Schon seit Jahren. Von wegen stille und besinnliche Tage vor Weihnachten. Es ist im Gegenteil eine einzige Hetzerei. Man weiß ja zum Teil nicht mal, wo man hinschauen soll. Gerade jetzt in Südtirol, wo das ganze Land ein einziger Sportplatz ist. Ausnahme Biathlon. Die Skijäger seilen sich ab nach Frankreich. Derweil kann das Antholzer Tal klammheimlich und fast unbeobachtet gebrandet werden. Von der Pistenraupe bis hin zur Schneeschaufel und der Nase für den Schneemann muss alles in den Farben und Buchstaben der Sponsoren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) strahlen. Dass dann, wenn der Startschuss fällt und eigentlich auch schon vorher, der Allgemeinheit weit vor der Biathlonanlage Grenzen gesetzt werden, wird vielen jetzt erst so langsam klar. Drei Monate wird aus einem Tal eine Insel und glückselig ist wohl nur die Herrschaft in Lausanne. Wie wohltuend ist da ein einfacher Weltcup, selbst wenn er so berühmt ist wie jener in Gröden. Man kauft sich ein Ticket, geht hin, freut sich des Lebens und wenn es gut läuft wird man mit einem Schuss Paris verwöhnt. Gänsehaut inklusive. Auf der anderen Seite im Gadertal ist es ähnlich. Hereinspaziert, hereinspaziert zur Vinatzerei. Und dabei, daran denken die wenigsten, ist es schwieriger, einen Weltcup, egal in welcher Sportart, zu gewinnen, als bei Olympischen Spielen zu triumphieren, wo nur eine begrenzte Anzahl an Teilnehmern pro Land zugelassen werden. Nur ein naheliegendes Beispiel: Im Biathlon muss man, will man siegen, im Weltcup an sechs Norwegern vorbei. Im Zeichen der Ringe nur an vier. Zwei Weltklasseathleten fehlen schon mal. Die Qualifikation für die Spiele ist härter und gnadenloser und wer nicht nominiert wird aufgrund der wenigen vorhandenen Plätze muss mitunter gar einen Lebenstraum begraben. Quotenplätze für Olympia Aber jetzt wird erst mal gekämpft. Überall. Es gilt Chancen zu nutzen und auf sich aufmerksam zu machen. Mit Ergebnissen, die, je näher der Februar rückt, immer besser werden sollen. Sogenannte Quotenplätze müssen allerdings nachgewiesen werden für Funktionäre, die dann wie weiland Julius aus Rom den Daumen senken oder heben. Es muss schließlich der Bürokratie Genüge getan werden, obwohl man doch Trainer hat, denen man vertrauen sollte. Und diese komischen Voraussetzungen im Zahlenspiel (in Deutschland etwa einmal Platz acht oder zweimal unter den besten 15 im Weltcup) kommen ja immer auch unter verschiedenen Konstellationen zustande. Und dann ist so eine Quotenerfüllung zudem nicht gleichbedeutend mit einer Teilnahme. Im Grunde also ist sie unsinnig, wird aber seit Jahren gepflegt und gehegt. Für manche Athleten mag es, wenn man sehr früh einen Nachweis seines Könnens abgelegt hat, eine Beruhigung sein. Andere hetzen lange, manche dann vergeblich, diesen Normen hinterher. 16. Platz. Wieder vorbei. Knapp aber die Riege der Entscheider ist genauso gnadenlos wie die Wettkämpfe. Geschenke auf dem Podium Aber jetzt kommt bitteschön erst noch Weihnachten und ich mache mir auch große Sorgen um all die Aktiven, Männer wie Frauen, an den unterschiedlichsten Wettkampfstätten. Wann können die sich um die Geschenke für ihre Liebsten kümmern? Anreise: Keine Zeit. Erstes, zweites Training: Keine Zeit. Rennen: Sowieso keine Zeit und erst recht keinen Peil, was es denn werden sollte dieses Jahr. Ein paar ruhige Minuten zum Bummeln durch Wolkenstein, Stern oder in Frankreich durch Le Grand-Bornand (wo ich als kleines Mitbringsel den phantastischen Reblochon wärmstens empfehlen kann, ein Kuhmilchkäse aus dem Hochsavoyen, der freilich jeden Bratapfelduft killt) sind selten drin. Immerhin besteht die Möglichkeit mit Weltcup-Medaillen und dann gut gefüllten Umschlägen vor dem Christbaum aufzutauchen. Weihnachtsgeld sozusagen für die vielen freiberuflichen Sportler. Das ist jetzt zwar nicht sonderlich romantisch aber würde vielleicht helfen, so manchen geheimen Wunsch, den, abgesehen von der Olympiateilnahme, auch Sportler haben, zu erfüllen. Später. Nach den Festtagen, wenn es tatsächlich und endlich wieder ruhig und besinnlich ist. Zumindest ein wenig mehr als jetzt. Ich wünsche allen trotzdem oder jetzt erst recht ein Frohes Weihnachtsfest. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises), Sportlehrer, Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport), widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports und seinen vielen Nebengeräuschen. Er bestreitet im Februar seine 16. Olympischen Spiele und nimmt sich als bekennender Weihnachtsfan durchaus die Zeit trotz vieler Termine (wie die Sportler) zu besinnlichen Momenten.

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Kolumne | Ein Schuss Paris in der Vinatzerei

Die stille Vorweihnachtszeit wird zur hektischen Sportbühne in Südtirol. Unser Kolumnist Sigi Heinrich macht sich vor allem Sorgen um die Aktiven, die vermutlich kaum Zeit und Ruhe finden, um für ihre Liebsten Weihnachtsgeschenke zu ordern.

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