S+
Mikaela Shiffrin hat eine schwierige Zeit durchlebt. © AFP / PIERRE TEYSSOT

L Ski Alpin

Mikaela Shiffrin hat eine schwierige Zeit durchlebt. © AFP / PIERRE TEYSSOT

Shiffrins dunkle Gedanken: „Als ich all das Blut sah...“

Trotz ihrer schweren Verletzung, die sie sich Ende November zugezogen hatte, kehrte Mikaela Shiffrin prompt in die Weltspitze des Ski Alpin zurück. Auf diesem Weg plagten sie jedoch dunkle Gedanken.

„Ich hatte keine Angst, als ich zu Boden ging – keine“, schrieb Mikaela Shiffrin in ihrem Beitrag auf der Plattform The Players' Tribune und ordnete die Momente rund um ihren schweren Sturz im Riesenslalom von Killington Ende November ein. „Selbst als ich auf dem Rücken in den leuchtend roten Zaun rutschte, hatte ich keine Angst. Dafür war kein Platz mehr in meinem Gehirn. Das einzige, was ich fühlte, war Schmerz. Das war alles. Sonst nichts.“


Es war keine Verletzung wie jede andere. Shiffrin zog sich an jenem Tag ein schweres Muskeltrauma zu, die Einstichwunde in der rechten Seite des Unterleibes machte der US-Amerikanerin am meisten zu schaffen. Die Bilder von ihrer Verletzung, welche die zweimalige Olympiasiegerin selbst veröffentlichte, gingen um die Welt. Rund drei Monate später feierte sie bei der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm gemeinsam mit Breezy Johnson die Goldmedaille in der Teamkombination. Doch für die 30-Jährige fühlte sich die Phase dazwischen keineswegs wie im Zeitraffer an. Es war ein steiniger Pfad zurück auf die Piste.

Shiffrin: „Das war, als wir das Blut sahen“

Die Schmerzen zu beschreiben, sei eine schwierige Aufgabe. „Es war so, als ob nicht nur mit einem Messer auf mich eingestochen wurde, sondern das Messer noch in mir war“, schilderte Shiffrin. Bei den ersten Checks am Unfallort wurde die Wunde aber noch nicht festgestellt, weshalb die achtmalige Weltmeisterin mit ihren Vermutungen im Dunkeln tappte. Im Krankenwagen sollte sich jedoch alles ändern.
„Und als ich all das Blut sah, war es nicht mehr nur ein Schmerz. Da fing ich an, wirklich Angst zu bekommen.“ Mikaela Shiffrin

„An einem Punkt schnitten sie mir die Kleidung weg, und das war das erste Mal, dass... Das war, als wir das Blut sahen“, so Shiffrin. „Und als ich all das Blut sah, war es nicht mehr nur ein Schmerz. Da fing ich an, wirklich Angst zu bekommen.“ Die Tatsache, dass der Einstich nur um einen Millimeter vom Dickdarm entfernt geschah, sorgte bei ihr für Erleichterung. Und für einen normalisierenden Effekt. „Ich habe alles, was meine Genesung betraf, wie jede andere Verletzung behandelt, die ich erlebt hatte“, führte sie aus. Schon bald sollte sie aber merken, dass dem nicht so war.

Shiffrin und der weite Weg zurück

Reha, Gym, hartes Training und die ersten Meter auf Schnee – so stellte sich Shiffrin die darauffolgenden Wochen vor. Einzig der letzte Schritt war verwunderlicherweise der schwierigste. „Als ich wieder auf den Schnee kam - der Teil, von dem ich hoffte, er würde wieder Spaß machen und mich erfüllen – passierte etwas Seltsames“, meinte sie. „Aus irgendeinem Grund fühlte sich bei meinen Trainingsläufen alles irgendwie schrecklich an, und so weit weg von dem, was ich eigentlich wollte.“

Mikaela Shiffrin verspürte große Ängste. © ANSA / Pontus Lundahl

Mikaela Shiffrin verspürte große Ängste. © ANSA / Pontus Lundahl


Die Schwünge stimmten nicht, die Bewegungen waren falsch. „Alles war einfach... schlecht“, merkte Shiffrin an. „Es war, als gäbe es diese seltsame Trennung zwischen meinem Körper und meinem Verstand. Und das war definitiv beängstigend.“ Gerade in einem Sport wie ihrem kann ein solcher Umstand enorm gefährlich sein. „Und nachdem ich gerade mein entzückendes kleines Zusammentreffen mit der Außenwand meines Dickdarms gehabt hatte, war ich nicht besonders aufgeschlossen, die Gefahren des Skirennsports zu erkunden“, beschrieb sie ihre Bedenken.

Shiffrin stellt sich in ihren Ängsten

Diese plötzliche Hilflosigkeit in ihrer eigenen Welt sei frustrierend gewesen. „Und gleichzeitig so dunkel“, fügte Shiffrin an. Aus ihrem Sturz konnte sie nichts lernen, es sei kein simpler Fehler gewesen – sondern einfach Pech. „Ich musste mich einfach wieder aufs Pferd schwingen. Aber mein Verstand war auf so etwas nicht vorbereitet.“ Daraufhin habe sie einige „extrem schlechte Momente“ erlebt, Zweifel haben ihren Alltag bestimmt. Zwischendurch dachte sie sogar an ihr Karriereende: „In meinem Kopf sagte ich mir dann: Weißt du was, irgendwie ist es mir völlig egal, ob ich jemals wieder Rennen fahre.“
„Ich musste mich immer wieder daran erinnern [...], dass in den allermeisten Fällen, wenn ich trainiere oder Rennen fahre, nichts Schlimmes passiert.“ Mikaela Shiffrin

In Gesprächen mit ihrer Therapeutin berührte sie schließlich den Aspekt der Posttraumatischen Belastungsstörung. Dabei erfuhr sie auch, dass die Überwindung ihrer Ängste mit der direkten Konfrontation zusammenhängt. „Einfach buchstäblich den Berg hinaufzugehen und das zu tun, was ich kann, wieder und wieder“, so Shiffrin. „Ich musste mich immer wieder daran erinnern [...], dass in den allermeisten Fällen, wenn ich trainiere oder Rennen fahre, nichts Schlimmes passiert.“

Einige Zeit später wagte sich Shiffrin wieder zurück auf die Piste – und setzte ihre phänomenale Laufbahn fort. WM-Gold in Saalbach-Hinterglemm, Weltcupsiege Nummer 100 und 101, keine Trennung zwischen Kopf und Verstand. „Es ist einfach total synchronisiert. Ich spüre es mit jeder Faser meines Wesens. Und ich kann nur lächeln vor Dankbarkeit“, schrieb sie abschließend. „Denn schließlich fühle ich mich wieder wie ich selbst.“

Kommentare (0)

Bestätigen Sie den Aktivierungslink in unserer E-Mail, um Ihr Konto zu verifizieren und Kommentare zu schreiben. Aktivierungslink erneut senden
Vervollständigen sie Ihre Profil-Angaben, um Kommentare zu schreiben.
Profil bearbeiten

Sie müssen sich anmelden, um die Kommentarfunktion zu nutzen.

© 2025 First Avenue GmbH