Der erfolgreiche norwegische Wintersport-Weg

Wir sollten eigentlich ein paar Wörter norwegisch lernen. Aber andererseits: Fast jeder in diesem Land mit der ewig langen Küste spricht englisch, so dass wir dann letztlich doch bequem um die Runden kommen. Warum norwegisch? Es ist die Sprache des Sports, nicht nur im Winter, aber gerade in der kalten Jahreszeit fällt es besonders auf, dass dieses skandinavische Land fast pünktlich zum Start der Weltcupsaison auf breiter Front Sportlerinnen und Sportler auf die Konkurrenz loslässt, die diese wiederum wie eine Herde Rentiere vor sich hertreibt. Norwegen ist das Maß der Dinge. Mehr als 30 Medaillen bei Olympischen Spielen im Winter sind längst der normale Durchschnitt. Und mit ein paar Namen will ich das unterstreichen: Kjetil Andre Aamodt, Lasse Kjus, Atle Skaardal, Axel Lund Svindal, Aleksander Aamodt Kilde, Henrik Kristoffersen. Tom Stiansen fällt mir noch ein, Erik Haker natürlich, Stein Erikson und Finn-Christian Jagge. Zu Ole Kristian Furuseth komme ich später noch. Die Damen im alpinen Bereich sind nicht ganz so präsent, aber an Andrine Flemmen oder vor allem Astrid Lodemä kann ich mich noch gut erinnern. Aber bitte. Das ist der kleine alpine Bereich. Bei einem Sprung zu den nordischen Disziplinen wird klar, dass es allen immer nur darum gehen kann, guter Zweiter oder Dritter zu werden, denn vorne sind die &bdquo;Elche“, wie sie wenig charmant oft genannt werden.

Aber jeder weiß dann natürlich auch, wer gemeint ist. Und nun ladies first: Therese Johaug, ein nicht unumstrittenes Ausnahmetalent, Heidi Weng und ihre jetzt erfolgreichere Cousine Tiril Udnen Weng oder Marit Bjoergen. Und dann natürlich Björn Daehli, eine Legende längst. Langlaufen ist in Norwegen nicht nur Sport, sondern Teil der Kultur. In Oslo stehen die Familien in der Straßenbahn mit Langlaufskiern und fahren hinauf zum Holmenkollen. Oder sie gehen aus dem Haus, irgendwo in einer einsamen Gegend. &bdquo;Wir gehen Skilaufen“, heißt das dann. Ach ja, natürlich geht es noch weiter. Mit Biathlon logisch und mit Ole Einar Björndalen, den sie &bdquo;Pirat“ nannten, weil er immer und immer mehr Siege wollte. Er war der Beste seiner Zunft. Sein Kollege Emil Hegli Svendsen und ganz aktuell Johannes Tignes Boe und sein älterer Bruder Tarje. Und der Nachwuchs übt schon Druck aus auf die etablierten Stars. Und gerade eben erhebt sich Halvor Egner Granerud über alle, schwebt, ja fliegt auf und davon. Hinauf zu den Sternen. Zwei Starts bei der Vierschanzen-Tournee, zwei Siege. Einer wie Jarl Magnus Riber, der bloß die Nordische Kombination betreibt, findet da kaum Beachtung.

Weltrekord durch Karsten Warholm Und dann ist da noch der Sommer. Da ist dann Grete Waitz, die so früh starb mit 57 Jahren nach einer Krebserkrankung. Sie lief Marathons so leichtfüßig und erfolgreich, dass sich die Welt der Ausdauer-Elite noch immer ehrfürchtig vor ihr verneigt. Es gibt Karsten Warholm, der den Weltrekord hält über 400 m-Hürden und die Brüder Ingebrigtsen, die auf den Mittelstrecken dominieren, auch gegen die starke Konkurrenz aus Afrika. Auch einen Weltklasseschwimmer gab es mal: Alexander Dale Oen, der Weltmeister war über 100m-Brust und vor den olympischen Spielen in London unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Ja, es ist beeindruckend, was Norwegen im Sport leistet. Auch die Handballer etwa sind Weltklasse.

Alles geht vom Olympiatoppen aus Wie das alles funktioniert? Es ist im Grunde ganz einfach, womit ich jetzt wie versprochen zu Ole Kristian Furuseth komme. Er ist Teil eines Kompetenzteams, das seinen Sitz im Olympiatoppen hat, einem bescheidenen Bau mit einfachen Zimmern in Oslo. Nichts ist glamourös. Dort trifft sich die Elite, die den Sport steuert. Man muss sich das jetzt nicht so vorstellen, dass dieses Team, das aus etwa zehn Spezialisten auf ihren Gebieten besteht, jeden Tag ein Meeting durchführt.

Der Norweger Johannes Hoesflot Klaebo ist der beste Langläufer der Welt. © ANSA / MAYK WENDT

Es ist vielmehr so, dass sich die Gedanken vereinen, ausgerichtet auf das Ziel, erfolgreich zu sein. Und für mich der entscheidende Faktor: Das alles ist sportartübergreifend ausgelegt. Man tauscht sich aus. Die Alpinen profitieren von den Langläufern und umgekehrt. Dazu kommt ein ungewöhnlich hohes Maß an Trainingsintensität und ein stets waches Auge auf mögliche Talente. Wichtig dabei ist die Tatsache, dass stets die Familien und die Vereine mit einbezogen werden. Die Gesellschaft und auch die Politik und die Wirtschaft sind mit im Boot und fühlen sich auch als Teil aller sportlichen Bestrebungen. Das ist ein massiver Unterschied etwa zu Deutschland oder auch Italien, wo der Sport bei weitem nicht die Akzeptanz besitzt wie in Norwegen.

Nur der erfolgreiche Athlet wird gefördert Allerdings ist auch in Norwegen nicht immer alles Gold, was glänzt. Wer nicht mehr leistungsfähig ist aus welchen Gründen auch immer, ist sehr schnell sehr einsam. Die bei den Olympischen Spielen in Peking noch überragende Biathletin Marte Olsbu Röiseland etwa hat sich erst jüngst darüber beklagt, dass sich niemand vom Verband um sie gekümmert habe, als sie nach Corona und einer Gürtelrose gesundheitlich so angeschlagen war, dass sie lange Zeit nicht trainieren konnte. Sie versäumte sogar die ersten drei Weltcup-Stationen. Das so wundervoll scheinende norwegische System hat auch seine Schattenseiten, die sich aus der Gnadenlosigkeit des sportlichen Wettkampfes ergeben. Nur, wer konkurrenzfähig ist, erfährt auch die notwendige Unterstützung. Die norwegischen Athleten und Athletinnen wissen das. Ein soziales Netz, das sie auffängt in schwierigen Situationen, gibt es nicht. Auch diese sicherlich unbequeme Erkenntnis treibt sie an, sehr zum Leidwesen der Konkurrenz.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der preisgekrönte Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis und Bayerischer Sportpreis), Buchautor und TV-Kommentator, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ allen Bereichen des Sports und wildert mitunter auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und auch mal bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

Allen Lesern von stol+ und natürlich vor allem jenen, die die Geduld aufbringen, meine Kolumnen zu lesen, die, ich weiß, mitunter auch kleine Aufsätze sind, wünsche ich ein gutes und vor allem gesundes neues Jahr. Bleiben sie mir gewogen.

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