Die olympische Verführung – auch in Südtirol

Da war sie endlich: Die Lizenz zum von allen Zwängen befreiten Geldausgeben. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Jubelnd fielen sich im Juni 2019 die Mitglieder der italienischen Delegation in die Arme, als das Internationale Olympische Komitee in Lausanne Mailand/Cortina d`Ampezzo den Zuschlag für die Winterspiele 2026 gab. Das Ergebnis war relativ klar. 47:34 für den italienischen Bewerber gegen Stockholm. Ausschlaggebend war damals übrigens die Tatsache, dass die damalige Regierung in Rom (Guiseppe Conte) dem IOC eine finanzielle Zusicherung gab, während die Schweden lediglich darauf hingewiesen haben, dass ihre starke Wirtschaft hinter den Spielen stehen würde. Die schwedische Regierung blieb außen vor.

Für die Mitglieder des IOC war das eine zu wachsweiche und nicht genug bindende Zusage, weshalb Schweden mal wieder nicht zum Zug kam, obwohl doch Italien erst 2006 mit Turin olympische Weihen erhalten hatte. Zudem, so wurde verbreitet, sei die Begeisterung in Italien mit 88 Prozent für die Spiele weitaus größer als in Schweden mit lediglich 55 Prozent. Wie immer diese Zahlen zustande gekommen sein mögen: Sie könnten tatsächlich auch mitentscheidend gewesen sein können, denn der olympische Stern strahlt längst nicht mehr so hell wie früher. Ganz im Gegenteil. Gerade in diesen Tagen überschlagen sich die Meldungen von angeblicher Korruption, Kostenexplosion und Verschwendung im Rahmen der Olympischen Spiele in Tokio.

Gelder werden frei gegeben Es ist ein Teufelskreis, der hier entsteht, denn mit der Zusage für die Ausrichtung der größten sportlichen Veranstaltung gehen schon seit jeher große Begehrlichkeiten einher. Es scheint wie ein Lottogewinn zu sein. Dabei geht es oft nur in zweiter Linie um den Sport. Es ist die Infrastruktur, die gerne zitiert wird, wenn von den positiven Auswirkungen einer gelungenen Bewerbung gesprochen wird. Wobei ich an dieser Stelle kurz einmal mit einer Mär aufräumen möchte. Die Münchner U-Bahn ist nicht entstanden, weil man für 1972 den Zuschlag für die Spiele bekommen hat. Die Planung hatte schon weit vorher begonnen. Aber die Geschichte hält sich hartnäckig, auch als Beispiel dafür, dass es sich eben für jeden lohnt, wenn das IOC grünes Licht gibt, denn plötzlich werden – und das ist wirklich ein Phänomen- Gelder frei gegeben, die bislang von den Hütern der Budgets eingefroren schienen. Genehmigungsverfahren werden im Schnelldurchlauf absolviert. Zumindest im Vergleich zu normalen Zeiten. Träume sollen und können jetzt tatsächlich verwirklicht werden.

Große Projekte in Südtirol Auch in Südtirol ist plötzlich Aufbruchstimmung zu erkennen. Die Riggertalschleife soll das Pustertal mit der Bahn besser und schneller mit Brixen und damit natürlich auch mit Bozen verbinden. Schon lange geplant, aber jetzt soll es schneller gehen. Die Maulwürfe haben Hochkonjunktur. Genug Ingenieure sind schon da und graben derweil den Brenner-Basis-Tunnel. Jetzt sollen die Ortschaften Kiens und Percha durch Tunnels entlastet werden. Und Kreisverkehre in Olang und bei der Einfahrt nach Antholz werden diskutiert, wobei von Bescheidenheit auch nicht mehr unbedingt die Rede sein kann. Bilder von einer zweistöckigen Regelung für Antholz machen die Runde. Klein-Los-Angeles. Anfänge von architektonischem Größenwahn breiten sich aus. Es herrscht Goldgräberstimmung frei nach dem Motto: Wer weiß, wann wieder so viel Geld für solche Maßnahmen zur Verfügung stehen wird, wenn erst der olympische Wahn vorüber ist. Allerdings ist mir bei der Fahrt zuletzt nach Antholz zum Weltcup aufgefallen, dass allenthalben noch nicht viel Erde bewegt wurde. Ein paar Kilometer rote Zäune markieren die Stellen der vorgesehenen Bauarbeiten.

Von einer neuen Zugtrasse ist weit und breit nichts zu erkennen. Es darf der zarte Hinweis gestattet sein, dass wir das Jahr 2023 schreiben. Es sind nur noch drei Jahre bis zu den Olympischen Spielen, die sowieso letztlich auch anders werden, als das seinerzeit bei der Wahl angekündigt worden war. Alles, so hieß es damals großspurig, sei schon jetzt bereit. Es war ein Märchen. Plötzlich hat das vermeintlich sofort olympiataugliche Biathlon-Stadion in Antholz, das schönste und beste der Welt im Moment, millionenschweren Nachholbedarf. In Antholz nutzt man clever die olympische Großzügigkeit. Die Bagger laufen sich schon warm. In Cortina d´Ampezzo ist die angeblich vorhandene Bob-und Rodelbahn eine Ruine. Mittlerweile kursieren Zahlen von 100 Millionen Euro, die eine neue Eisrinne kosten würde. Nach Nordtirol, wo in Innsbruck eine Bahn zur Verfügung stünde, will man auf keinen Fall ausweichen. Her mit der Kohle. So allmählich dämmert es den Verantwortlichen, dass sie sich zügeln müssen, zumal alle Baumaßnahmen mittlerweile wesentlich teurer werden als ursprünglich angenommen. Anfang des Jahres wurden Baselga di Pinè im Fleimstal die Eisschnelllaufwettbewerb entzogen. Die Überdachung des immerhin vorhandenen Stadions hätte wohl auch annähernd 50 Millionen Euro gekostet. Jetzt wird man nach Turin gehen, womit bei den Spielen in Mailand/Cortina bald zehn verschiedene Austragungsorte zum Zug kommen. Und es werden die Spiele mit den längsten Wegen zwischen den Sportstätten sein. Vieles davon war schon 2019 bekannt. Olympische Spiele verführen alle, die sich in ihre Fänge begeben. Montreal hat nach den Spielen 1976 fast 30 Jahren die Schulden abbezahlt. Nagano war nach 1998 zahlungsunfähig. Es ist zu hoffen, dass dem olympischen Rausch in Italien in drei Jahren kein langanhaltender Kater folgt. Auszuschließen ist es nicht.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der renommierte und vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis und Biathlon-Award) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigis Spitzen“ der breiten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern oder bierernst. Mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Heinrich war bislang als TV-Kommentator bei 15 Olympischen Spielen im Einsatz.

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