Die Olympischen Spiele am Scheideweg

Die Bilder werden wieder um die Welt gehen. Farbenprächtig und natürlich durchgestylt bis zum letzten Fingernagel wird die Eröffnungsfeier sein im Vogelnest in Peking. Ähnlich wie schon 2008 bei den Sommerspielen in Peking an gleicher Stelle. Ähnlich aber auch wie bei vielen anderen Veranstaltungen dieser Art, die nicht in einem autokratischen Staat stattgefunden haben. Für Freiraum ist in diesen durchorchestrierten Shows kein Platz. Erst recht nicht in diesen Coronazeiten. Der Faszination tut dies freilich keinen Abbruch. Die bunten Bilder sollen uns einstimmen auf die sportlichen Höhepunkte.

Schließlich, so wird uns immer wieder eingeredet, geht es nur um Sport. Um die mit Füßen getretenen Menschenrechte in China, um die Ausrottung der Uiguren, um die mit Schusswaffen beendete Demokratiebewegung in Hongkong und die Verfolgung der Tibeter: Um all das und auch um das unverhohlene Säbelrassen der chinesischen Regierung mit ihren Territorialansprüchen über die Insel Taiwan soll sich gefälligst die Politik kümmern. Jetzt geht es um Punkte beim Eiskunstlauf, um Treffer beim Biathlon, um schnelle Zeiten in der Abfahrt und weite Sprünge von den nagelneuen Schanzen. Sport hat nichts mit Politik zu tun. Weit gefehlt. Corona bestimmt auch den Olympia-Alltag, wie hier in einem Bahnhof in Zhangjiakou. © ANSA / FILIP SINGER

Schon die Vergabe der Spiele an Peking war Politik, denn die chinesische Hauptstadt ist jetzt die erste Stadt der Welt, die Sommer-und Winterspiele gleichermaßen ausrichtet. Für die chinesische Regierung ist das ein gewaltiger Imagegewinn, denn letztlich haben sie sich gegen viele Bewerber durchgesetzt, die freilich, das darf nicht vergessen werden, kein Plazet von ihrer Bevölkerung für die Spiele bekommen haben. Sion, Oslo oder München durften und konnten sich nicht beim IOC anmelden. Übrig blieb mit Kasachstan nur ein weiterer autokratisch regierter Staat, der mit 40:44 Stimmen vor sieben Jahren bei der Wahl unterlag.

Gebetsmühlenartig verbreitet seit dem IOC-Präsident Thomas Bach das Märchen, dass durch die Spiele die Welt intensiver auf die Entscheidungen des chinesischen Regimes schaut. Doch Staatspräsident Xi Jingping, der auch schon den olympischen Orden erhalten hat, kümmert das nicht. Nichts wird besser werden für die Menschen in China. Das war schon nach Peking 2008 so. China nutzt auch diesmal die gesteigerte Öffentlichkeit, um die Leistungsfähigkeit seines politischen Systems auch äußerlich zu dokumentieren mit der Errichtung monumentaler Wettkampfstätten.

Dafür wurden gnadenlos Dörfer zerstört, einfach platt gemacht, Menschen umgesiedelt. Wälder auch in Naturschutzgebieten abgeholzt und Flüssen wird das für die Bevölkerung in Peking so wichtige Wasser für den Betrieb von 300 Schneekanonen entzogen. Proteste dagegen gab es keine. Wie auch in einem Staat, der alles und jeden kontrolliert und jetzt auch in den nächsten drei Wochen alle Teilnehmer der Olympischen Spiele. Dazu kommt die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler westlicher Staaten von China als Produzent billiger Waren und als gigantischer Absatzmarkt. Das nimmt kritischen Anmerkungen schnell den Wind aus den Segeln. Man will es sich mit China nicht verderben. <a data-caption="So wird in einem der Medienzentren in Peking den Journalisten das Mittagessen geliefert. Das muss fotografiert werden. © ANSA / MARK R. CRISTINO" data-fancybox="inline-99770" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2022/02/so-wird-in-einem-der-medienzentren-in-peking-den-journalisten-das-mittagessen-geliefert-das-muss-fotografiert-werden.jpg"> So wird in einem der Medienzentren in Peking den Journalisten das Mittagessen geliefert. Das muss fotografiert werden. © ANSA / MARK R. CRISTINO

Und doch ist er spürbar, der olympische Geist, der Spirit, der alle irgendwie erfasst, die mit Olympia zu tun haben. Ich durfte 1972 das olympische Feuer durch meine Heimatstadt Wolfratshausen tragen. Nie werde ich diesen Moment vergessen, als mir die Fackel ausgehändigt wurde und ich losgelaufen bin. Ich hatte ein T-Shirt an mit den olympischen Ringen auf der Brust. Ich war so irgendwie auch Olympiastarter und ich war mächtig stolz. So geht es vielen, ja praktisch allen, die jetzt die Strapazen auf sich nehmen bei der Einreise nach Peking, um sich ihren olympischen Traum zu erfüllen. Einige wenige kämpfen um Medaillen, viele, ja die meisten sind schon glücklich, dass sie überhaupt teilnehmen können. Wer die Spiele verpasst, wegen einer Verletzung, einer Formkrise oder, wie in diesem Jahr, wegen eines positiven Coronatests, sieht sich nie gekannter Gefühlsleere ausgesetzt.

Olympische Spiele besitzen den Status einer magischen, einmaligen Chance, die sich eben nur alle vier Jahre ergibt. Allein dieser Zyklus hebt die Besonderheit und die Einmaligkeit hervor und natürlich die Geschichte und die Tradition. Die Sorge um den Fortbestand dieser einzigartigen Veranstaltung wird vor allem durch den Gigantismus auf fast allen Ebenen befeuert. Der Sport, der im Vordergrund stehen sollte, wird umzingelt von Sponsoren und Marketingmaßnahmen. Die Spiele scheinen in erster Linie eine einzige, gut geölte Gelddruckmaschine zu sein, wobei viele der Einnahmen freilich auch an die vielen verschiedenen nationalen Verbände zurückfließen, die sich dann bei anstehenden Wahlen selbstverständlich auch erkenntlich zeigen im Sinne der olympischen Bewegung. Es ist alles ein engmaschiges Netzwerk. Und doch: Es gibt nichts Größeres, nichts Bedeutenderes in der Welt des Sports.

Wenn es gelingt, sich in den nächsten Jahren wieder auf die rein sportliche Ebene zu begeben und den Forderungskatalog des IOC an die möglichen Ausrichter kräftig zu straffen, muss uns nicht bange sein um die Olympische Idee des Baron de Coubertin. Es gibt keine Alternative und mit den nächsten Spielen in Paris, Mailand mit Cortina und Los Angeles hat man nach drei Spielen in Folge in Asien wieder Länder mit großer sportlicher Tradition und olympischer Geschichte im Visier. Vermutlich gerade noch rechtzeitig.

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