Sigi´s Spitzen: Die olympische Zeitenwende

Ich bin weit davon entfernt, Schadenfreude zu empfinden. Eher bin ich traurig, ein wenig enttäuscht und auch etwas konsterniert ob der Umstände, dass es nun augenscheinlich doch nicht reicht, für die Olympischen Spiele Mailand/Cortina die James-Bond geprüfte Bobbahn wieder auferstehen zu lassen. Die wohl letzte Chance, dass der Gastgeber – und letztlich ist das Italien – doch noch auf heimischem Eis Bob, Rodeln und Skeleton durchführen kann, bestünde in der Renovierung der seit 2011 stillgelegten Bahn in Turin.

Ich fände das noch die beste Lösung, wenn man nicht bereit ist, ins Ausland (Österreich oder Schweiz) auszuweichen. Es ist klar, dass der italienische Infrastrukturminister Matteo Salvini eine Lösung ohne ausländische Hilfe anstrebt. Immer noch scheint für ihn ein Neubau in Cortina die beste Lösung zu sein. Allerdings ist das nur politisches Geplänkel ohne realistischen Hintergrund, denn Baubeginn wäre dann frühestens im Sommer nächsten Jahres, zumal der dafür notwendige Beschluss erst Ende Januar 2024 erfolgen soll. Wenn überhaupt. Diese Spiele 2026 stehen jetzt schon unter einem schlechten Stern. Vieles von dem, was man großspurig dem IOC versprochen hat, um den Zuschlag gegenüber Schweden mit Stockholm zu bekommen, ist Schall und Rauch. Das Eisschnelllaufzentrum Baselga di Piné wurde ebenso gestrichen wie die Renovierung des PalaSharp in Mailand für Eishockey wegen gestiegener Kosten. Jetzt sollen temporäre Austragungsstätten das Desaster abfangen, was im Grunde keine schlechte Idee ist, denn die Nachnutzung neuer, großer Anlagen ist und bleibt ein Problem. Die Olympischen Spiele in Mailand/Cortina sind deshalb auch eine Zeitenwende und ein Blick in die Zukunft. Es ist Zeit, die Augen zu öffnen.

Zeitenwende für die Spiele Olympische Spiele leben nur noch von ihrem freilich unersetzbaren Ruhm, der auf die Athleten übergeht, wenn sie eine Medaille gewinnen. Sie leben nur noch, weil der Mythos stärker ist als die Realität. Weil wir, Zuschauer und auch Journalisten, uns letztlich einbinden und eben auch verzaubern lassen von dieser symbolträchtigen Veranstaltung. Die Romantiker gewinnen noch immer gegen die Bedenkenträger. Das IOC nutzt das aus auf dem immer noch festen Untergrund einer großen Geschichte. Jetzt wurde sogar die Schweiz massiv vor den Kopf gestoßen. Das Land, in dem das IOC in Lausanne seinen Sitz hat und das nicht nur, weil der Genfer See so schön funkelt in der Morgensonne. IOC-Chef Thomas Bach. © ANSA / TERESA SUAREZ

Kurz nachdem das Schweizer Sportparlament ein überraschend klares Votum für die Ausrichtung Olympischer Winterspiele 2030 abgegeben hat, gab das IOC bekannt, dass man planungstechnisch das Terrain bereits abgesteckt habe. 2030, also vier Jahre nach Mailand/Cortina, soll Frankreich dran sein und dann 2034 Salt Lake City. Die Schweiz und alle anderen Interessenten, falls es dann überhaupt noch welche geben sollte, könnten sich frühestens für 2038 bewerben. Für die Eidgenossen war das eine schallende Ohrfeige, zumal es nicht einfach war, in der Schweiz das Interesse für Olympische Spiele nach vielen Abstimmungsniederlagen in der Vergangenheit neu zu entfachen. Frankreich also. Schon wieder. Und plötzlich, weil die Sponsoren für den nächsten Sommer auch für den Winter 2030 in Frankreich am IOC-Ball bleiben wollen, pfeift man auf Nachhaltigkeit und zerstört ein für alle Mal das olympische Motto: &bdquo;Treffen der Jugend der Welt“. Ein 500km-Band sollen diese Spiele werden. Winterspiele wohlgemerkt. Von Nizza bis Chamonix und Albertville sollen Wettbewerbe ausgetragen werden. Die Jugend der Welt trifft sich maximal noch auf der Autobahn oder am Bahnhof, um dann gemeinsam im TGV anzureisen oder auch gleich am Flughafen. Das ist nachhaltig, denn man benötigt kein olympisches Dorf mehr. Alles ist in Bewegung. Sportlich halt.

Der Mythos verliert gegen den Kommerz Noch läuft die IOC-Maschinerie weiterhin auf Hochtouren. Allerdings wird der Mythos mittlerweile mehr und mehr weichgeklopft, weshalb man sich etwa in Italien nicht grämen sollte, wenn die Medaillen für die Bobfahrer und Rodler nicht innerhalb der eigenen Grenzen ausgefahren werden. Längst hat die Olympische Idee dem Kommerz Platz machen müssen. Die Faszination der Ringe ist sowieso meist nur von kurzer Dauer und wird in vielen Fällen vom Katzenjammer abgelöst, der spätestens dann eintritt, wenn die Medaillen auf ihre finanzielle Kehrseite abgeklopft werden.

Auch in der Bevölkerung setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die vielen Millionen, die Olympische Spiele letztlich doch kosten, besser angelegt werden könnten. Spätestens bei der Nachnutzung kommt die Bescherung ans Tageslicht. Und auch wenn ich mir jetzt den Unmut aller italienischen Bobfahrer (dazu gehört auch Skeleton) und Rodler zuziehe: Die Bahn in Igls ist ja wirklich nur einen Steinwurf entfernt für alle jene, die diesen Sport betreiben. Vom Pustertal etwa ist man vermutlich genauso schnell in Igls wie in Cortina. Und eine Dauerkarte am Brenner ist allemal günstiger als eine neue Bahn für vermutlich mehr als einhundert Millionen Euro. Wenn, dann müsste der Ärger auf das &bdquo;Comitato Olimpico Nazionale Italiano“ (CONI) abgeladen werden. Dort hat man es schlafmützig versäumt, rechtzeitig den Bau der Bahn in Cortina zu starten. Dass Salvini jetzt noch immer stark dahinter ist, hängt wohl auch mit seiner Aussage vom Juni 2019 zusammen. Damals war er Vizepremier und Innenminister und sagte: &bdquo;Mit den Winterspielen werden wir der Welt unsere Exzellenz und unsere Fähigkeiten beweisen.“ Und er sprach von &bdquo;einem historischen Tag“ und einem &bdquo;Sieg für alle Italiener“. Es könnte ein Pyrrhussieg gewesen sein.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“, der gesamten Vielfalt des Sports und wildert darüber hinaus auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich und ernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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