Sigis Spitzen | Paralympics im Abseits

Eine Nachricht wie viele in den letzten Jahren. Bei einem Bombenangriff Russlands auf die ukrainische Hauptstadt Kiew wurden 14 Menschen getötet, darunter drei Kinder. Das war vor einem Monat. Jetzt schnell ganz aktuell: Im nordostukrainischen Sumy ist nach offiziellen ukrainischen Angaben eine vierköpfige Familie bei einem russischen Drohnenangriff getötet worden. Die Eltern und ihre vier und sechs Jahre alten Kinder wurden tot aus den Trümmern geborgen.

Da freuen wir uns doch jetzt, dass in Antholz, in Predazzo, Cortina, Bormio oder Mailand bald die russische Nationalhymne zu hören sein wird und die Flagge Russlands fröhlich im Wind flattern wird in den Stadien, nachdem russische Athleten auf dem Siegerpodest Platz genommen haben. Die Funktionäre des Paralympischen Komitees haben nämlich in Seoul bei ihrer Generalversammlung entschieden, die Sanktionen gegen die Dachverbände Russlands und seines Verbündeten Belarus aufzuheben. Wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hatte das IPC beide Länder 2023 suspendiert. Krimsekt für alle. So könnte ich mir die Reaktion im Kreml vorstellen. Russland ist wieder dabei. Ganz offiziell, zumindest bei den Paralympischen Spielen, die nach den Olympischen Spielen ausgetragen werden an den olympischen Sportstätten. Es ist rätselhaft, was die Mitglieder des IPC dazu bewogen hat, zunächst mit einer klaren Mehrheit gegen einen Komplettausschluss von Russland zu votieren und danach in einem weiteren Votum mit 91:77 Stimmen auch die Teilsuspendierung aufzuheben. Für Belarus lief es ähnlich ab. Das Ergebnis widerspricht nämlich total jener Vorgehensweise des Internationalen Olympischen Komitees. Bald wieder so? Ein Bild von Olympia 2014 in Sotschi. © ANSA / SERGEI CHIRIKOV / STF

Während der Zeit vom 6. Februar 2026 bis zur Schlussfeier in der Arena von Verona wird es nämlich keine russische Hymne und auch keine russischen Fahnen geben. Teilnehmer aus Russland und Belarus dürfen nur nach genauer Prüfung und nur unter neutraler Flagge starten. Teams sind ausgeschlossen. Das hat klare Hintergründe, die dem Regelwerk des IOC zugrunde liegen. Das IOC hat nämlich Russlands olympisches Komitee suspendiert, weil es die vier annektierten ukrainischen Gebiete Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja aufgenommen hat. Das wertet das IOC als Verstoß gegen die olympische Charta und hat somit eine feine Begründung für ihre Entscheidung, denn auch im IOC gibt es Tendenzen der Aufweichung. Die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry aus Simbabwe hat diesbezüglich schon erstmals eine klare Richtung vorgegeben und darauf hingewiesen, dass der IOC-Vorstand denselben Ansatz wählt wie in Paris. &bdquo;Nichts hat sich geändert“, meinte sie. In Paris waren 15 Aktive aus Russland und 17 aus Belarus dabei. Derzeit bemühen sich wohl zwei Eiskunstläuferinnen und ein Eiskunstläufer um ein Ticket.

Hoffnung auf mehr Publicity? Die Entscheidung des IOC war weit vor der Generalversammlung des IPC, weshalb es in der Tat kaum nachvollziehbar ist, dass der Behindertensport sich im Grunde jetzt gegen die Entscheidung des IOC stellt. Als Anwärter auf den Friedensnobelpreis wird das IPC sich damit wohl kaum profilieren können. Ist es die Hoffnung auf mehr Publicity? Verbunden vielleicht mit der Möglichkeit, sich mit den paralympischen Wettkämpfen noch eigenständiger zu machen und sich klarer abzugrenzen von den Bewerben des IOC zuvor? Demut wäre angebrachter. Das wäre nämlich auch eine Art Inklusion. Es ist doch großartig, dass nach den Olympischen Spielen die Paralympics auf den gleichen Sportanlagen ausgetragen werden können, auch wenn die mediale Aufmerksamkeit geringer ist. Das mag man als ungerecht empfinden vor allem gegenüber den Athleten der verschiedenen Startklassen im Behindertensport.

Dennoch kann niemand die Augen davor verschließen, dass die paralympischen Wettkämpfe weniger Anziehungskraft haben als jene, die zuvor über die olympische Bühne gehen. Ich weiß auch um die Sensibilität der behinderten Athleten und mehr noch über jene der Funktionäre, die verständlicherweise um vollkommene Anerkennung und Gleichstellung kämpfen. Doch trotz erweiterter Berichterstattung, die auch erfolgt, damit man bei den TV-Stationen den Deckmantel moralischer Integrität schön ausbreiten kann, spielt der Behindertensport nicht in der ersten Klasse mit. Mit der Entscheidung pro Russland und Belarus hat sich das IPC sogar weiter ins Abseits gestellt, anstatt gemeinsam mit IOC an einem Strang zu ziehen.

Doch noch besteht Hoffnung. Die Entscheidung, ob tatsächlich in Mailand/Cortina russische Sportler und solche aus Belarus bei den Paralympics teilnehmen können, liegt letztlich in den Händen der für die jeweiligen Sportarten zuständigen Weltverbände, die dem unverständlichen Beschluss der Generalversammlung nicht folgen müssen. Wenigstens hatte das IPC jetzt schon mal ein paar olympische Schlagzeilen für sich, während weiter Bomben und Drohnen auf die Ukraine regnen.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, ausgebildeter Sportlehrer, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport (bislang bei 17 Olympischen Spielen dabei), widmet sich ein seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in ihm gar nicht so fremden anderen Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

Fußball

Italien

Internationale Ligen

International

Eishockey

Tennis

Wintersport

Mehr

Motorsport

Radsport

Wassersport

Favoriten

Sigis Spitzen | Paralympics im Abseits

Die Entscheidung des Paralympischen Komitees (IPC)) bei der Generalversammlung in Seoul, Russland und Belarus wieder mit allen Ehren (Fahne und Hymne) zuzulassen, stößt bei unserem Kolumnisten Sigi Heinrich auf Unverständnis, zumal es weiter Bomben aus Russland auf die Ukraine regnet.

Kommentare (0)