Zeit zur Umkehr im Winter

Ich konnte SIE nicht retten. Alle Hilfe war umsonst und die äußeren Umstände kamen noch hinzu. Es war zu warm. Meine Schneefrau verließ mich in einem fließenden Prozess. Früher habe ich ja noch Schneemänner gebaut. Mit Karotte in der Nase und für die Augen verwendete ich kleine Kohlestückchen. Sah megacool aus. Geht jetzt natürlich nicht mehr. Ich musste mehr feminin agieren, genderaktiv denken.

Leicht ist das zugegebenermaßen nicht immer, wenn man ein Leben lang mit Mohrenköpfen aufgewachsen ist, die natürlich jetzt auch tabu sind. Meine Oma stecke mir immer zehn Pfennig zu (Opa durfte das nicht wissen) und beim Kramer im Ort gab es dann diese Negerküsse (sorry, geht auch nicht mehr). Jetzt also Schaumküsse. Gut, ist auch ein schönes Wort, besser als Schwedenbombe, so nennt man diese überaus köstliche Verführung aus weichem Schaumzucker, der auf eine Waffel drapiert wird und dann in ein Schokoladenbad getaucht wird, in Österreich. Sprache wird jetzt schnell auf mögliche rassistische Inhalte untersucht und es gilt in allem, was man tut, Vorsicht walten zu lassen.

Ich darf zum Beispiel im kommenden Karneval oder Fasching nicht mehr als Indianer gehen, weil ich keiner bin. Ich bin zwar auch ein Indigener als Bayer, aber eine fremde Kultur darf ich mir dennoch nicht aneignen. Wenn ich etwa einen Sombrero aufsetze, muss ich sagen, dass ich kein Mexikaner bin, sondern, sagen wir mal, ein Franzose oder Rumäne. Die Leichtigkeit des Lebens ist nicht mehr leicht zu erreichen. Vielleicht verkleide ich mich als Skifahrer, denn dann wissen alle sofort, dass ich mich quasi als aussterbende Spezies in das lustige Getümmel stürze. Die beiden Skistöcke helfen dann auch noch, wenn das Gleichgewichtsgefühl aufgrund der Zuführung alkoholischer Flüssigkeiten nachzulassen droht. Die Entfremdung der Skikleidung geht einher mit dem schleichenden Prozess, den ich bei meiner Schneefrau schon festgestellt habe. Nichts mehr im Winter ist im Moment noch so, wie es mal war. Die Bilder aus den Alpen, egal von wo auch immer, wirken zunehmend verstörend. Haben wir den Kipppunkt unseres Klimas schon erreicht? Ist es bereits nach zwölf Uhr für unsere gute Erde? Angeblich ist das Ozonloch kleiner geworden. Ach, könnte ich es nur glauben und auf der anderen Seite: Was nutzt es, wenn sich die Meere erwärmen, die Klimakatastrophen deshalb in immer kürzerer Folge wüten. Intensive Regenfälle folgen Dürreperioden. Aber Schifoan is weiterhin leiwand, wie mir Wolfgang Ambros immer wieder mal über mein altes Röhrenradio (Marke Groetz) zuflüstert. Als er 1975 das Lied zum ersten Mal zum Vortrag brachte, dachte ich im Traum noch nicht daran, meine Keilhosen mal zum Zwecke der Belustigung zu tragen.

Umdenken ist Pflicht Der Sport denkt indes noch immer nicht daran, sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen, sich umzustellen. Mit fast brachialer Sturheit versuchen alle, den Status der Normalität aufrecht zu erhalten und so werden Bänder mit Kunstschnee auf die grünen Wiesen gezaubert, wobei die Herstellung der weißen Pracht mittels Schneekanonen auch immer noch fragwürdig ist. Für einen Kubikmeter Schnee benötigt man immerhin einen halben Kubikmeter Wasser. Ob Adelboden oder Ruhpolding: Auch ohne übliches Haushaltssalz geht nichts mehr, das freilich auch dazu führt, dass die Pisten härter und auch gefährlicher werden etwa für den Skifahrer, der da meint, er könne in seiner Freizeit noch ein paar Schwünge in den schönen Schnee setzen. In Adelboden war die Piste nicht viel mehr, als ein weißes Schneeband. © ANSA / JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Die Stürze sind folgenreicher und wer gar abseits der künstlichen Streckenführung aus dem Gleichgewicht kommt, landet auf felsigem, hartem Untergrund. Es ist vieles, ja in diesem Winter fast alles aus dem Gleichgewicht gekommen. Und im Grunde wissen alle: Eine Anpassung muss passieren. Für den Wettkampfsport besteht das Problem darin, dass die Termine für die nächsten Jahre schon fixiert sind. Wissen ist zwar Macht aber das Wissen um die Tatsache, dass unter 1500 Meter Meereshöhe in Zukunft wohl kein Wintersport mehr ohne künstliche Hilfe möglich ist, erzeugt eher Machtlosigkeit.

Wir sind definitiv an einem Wendepunkt angelangt. Schon jetzt muss die Skiwelt für den Tourismus und für den Sport Strategien entwickeln, um die Zukunft abzusichern. Aber schon das Wort &bdquo;Strategie“ ist in diesem Fall problematisch, denn es beinhaltet die Problematik eines langen Prozesses. Und es eilt jetzt. Bislang hat man aus warmen Wintern in der Vergangenheit nichts gelernt. Nun wäre wieder ein guter Zeitpunkt, um ehrlich, bewusst und vor allem schnell auf die Problematik zu reagieren. Schnell freilich sind meist nur die Athleten und natürlich Athletinnen, während in den warmen Stuben der Funktionäre vor allem gewohnte Durchhalteparolen den Ton angeben, während draußen vor der Türe Schneefrauen genauso flott dahinschmelzen wie Schneemänner und auch der Schokoguss auf dem Schaumzucker den Weg alles Irdischen geht.

Wintersport

Fußball

Italien

Internationale Ligen

International

Eishockey

Internationale Ligen

Tennis

Weitere Sportarten

Motorsport

Radsport

Wassersport

Events

Favoriten

Zeit zur Umkehr im Winter

Empfehlungen

Kommentare (0)