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Allem Frust zum Trotz: Stefan Zisser ist um Zuversicht bemüht. © Privat

Die Heim-WM naht: Wo steht Italiens Eishockey, Herr Zisser?

In vier Monaten steigt die B-Weltmeisterschaft in Bozen, das wichtigste Eishockeyturnier in Italien seit 30 Jahren. Sportlich allerdings wird die Vorfreude getrübt. Deshalb haben wir Stefan Zisser auf den Zahn gefühlt, immerhin verantwortet er das Abschneiden aller Nationalteams.

Der Bozner hat selbst die Jugend-Auswahlen durchlaufen, spielte später über ein Jahrzehnt lang im Blue Team und hat nun die Rolle des Nationalmannschaft-Sportdirektors inne. In dieser Funktion war er jüngst bei der enttäuschenden U20-WM und den Testspielen der „Großen“ in Klagenfurt vor Ort. Die Eindrücke haben ein ordentliches Gewicht auf das Jahresabschluss-Gespräch, das er nachfolgend mit SportNews führt.



Italien hat zuletzt bei der U20-WM ein Debakel kassiert, die A-Nationalmannschaft kommt noch nicht richtig auf Touren. Wie schwer fällt Ihnen Ihr Job aktuell?

„So leidenschaftlich ich als Spieler war, so viel Herzblut stecke ich auch in meine aktuelle Aufgabe. Gerade deshalb haben sich die vergangenen Wochen sehr frustrierend angefühlt. Dabei denke ich in erster Linie an die U20-WM. Wir hatten viel investiert, uns bei den Klubs lange um Freigaben bemüht, haben für die Jungs Trainingscamps organisiert, mit ihnen Teambuilding-Einheiten gemacht. Aber als es drauf ankam, haben wir einfach nicht geliefert. Der dritte Platz und der deutlich verpasste Aufstieg sind eine Enttäuschung.“


Wie sehr ärgert Sie das?

„Ärgern ist vielleicht der falsche Begriff, aber es beschäftigt einen. Im Verein hat man sofort die Chance, Niederlagen aufzuarbeiten, es besser zu machen. Hier im Nationalteam muss man ein Jahr lang warten, um mit einem Team die Gelegenheit zur Wiedergutmachung zu bekommen. Und für einige Spieler gibt es diese Gelegenheit überhaupt nicht mehr. Wir hatten Spieler im Kader, die bei der WM in Slowenien vermutlich das letzte Mal überhaupt das Nationalteam-Trikot getragen haben. Das stimmt mich traurig.“

Für Tommaso De Luca und Co. nahm die U20-WM ein desaströses Ende.4 © IIHF



Woran lag das Scheitern?

„Die Jungs haben heuer zum wiederholten Male ein Camp in Schweden besucht, sie haben gut trainiert und in den Testspielen ordentliche Leistungen gezeigt. Auf dem Papier ist das eine Top-Mannschaft, eine der besten der letzten Jahre. Deshalb war meine Erwartungshaltung sehr hoch, vielleicht zu hoch. Auf dem Eis habe ich Parallelen zum Abschneiden der A-Nationalmannschaft bei der WM im Mai in England gesehen. Wenn es drauf ankam, waren wir einfach nicht da. Nach dem verkorksten Ukraine-Spiel habe ich innerhalb der Mannschaft einen hohen emotionalen Druck gespürt. Andererseits muss man aber natürlich auch das Trainerteam in Frage stellen. Waren die Vorgaben zu kompliziert, wurden die falschen Ansätze gewählt? Diese Fragen gilt es aufzuarbeiten.


Wurden bei der Kadernominierung Fehler gemacht?

„Im Nachhinein muss man sich das natürlich fragen. Vielleicht hätte uns der ein oder andere Spieler weitergebracht, aber das bleibt eine Hypothese. Ich muss jedenfalls klar sagen: Wir haben die Spieler nach sportlichen und charakterlichen Eigenschaften ausgefiltert. Trainer Giorgio De Bettin hat sich viele Spieler angesehen, Expertenmeinungen eingeholt und Scoutingberichte gelesen. Wir wollten eine Einheit formen – und dafür schienen uns diese Spieler am geeignetsten.“

„Wie kann ich Bronze bejubeln, wenn ich eigentlich höhere Ziele hatte?“ Stefan Zisser


Am Ende war dann genau die Einstellung einer der Gründe fürs Scheitern.

„Das stimmt leider. Mit Damian Clara war zwar ein enorm wichtiger Spieler nicht dabei, wir haben auch individuelle Fehler begangen und in wichtigen Momenten auch einfach Pech gehabt. Am Ende hat mich aber eine Szene nachdenklich gestimmt: Die Spieler haben nach dem letzten Spiel auf dem Eis die Bronzemedaille gefeiert. Klar es ist eine sportliche Anerkennung, doch wie kann ich Bronze bejubeln, wenn ich eigentlich höhere Ziele hatte? Vermutlich untermauert das mein Fazit, wonach wir bei diesem Turnier einfach nicht genug Biss hatten.“


Werden wir den ein oder anderen U20-Spieler kommendes Frühjahr bei der Heim-WM in Bozen wiedersehen?

„Tommaso De Luca hätte sich wohl verdient, bei der WM dabei zu sein, denn er steht in der Schweiz in einer Top-Liga regelmäßig auf dem Eis. Ähnliches gilt aktuell für Damian Clara. Auch Tommy Purdeller ist ein Kandidat, allerdings hat er im Erwachsenen-Eishockey keine Erfahrung. Es gibt sicherlich eine Handvoll Spieler, die in Frage kommen. Ich möchte Trainer Mike Keenan da aber nicht dreinreden.“

Mike Keenan soll Italien bis Olympia 2026 führen. © FISG/Valentina Gallina



Apropos Keenan: Er hat sich mit Ihnen die Spiele der U20 vor Ort angesehen. Wie ist die Zusammenarbeit mittlerweile?

„Nach der enttäuschenden WM haben wir im Sommer auch die Leistung des Trainers analysiert. Wir haben uns aber dazu entschlossen, ihn zu bestätigen – und wir stehen voll hinter ihm. Die Zusammenarbeit ist besser geworden. Er ist viel in Italien, schaut sich Unmengen Spiele und Spieler an. Auch in der Kommunikation tritt er anders auf. Wobei wir hier alle dazugelernt haben. Wir versuchen, noch näher an den Spielern zu sein, sie übers Jahr hinweg zu betreuen und mit ihnen im Austausch zu bleiben.“


Keenan hat mit seinem Nationalteam vor kurzem den Österreich Cup bestritten. Wie fällt Ihr Fazit aus?

„Das Turnier war alles in allem okay. Im Auftaktspiel gegen Polen hat Johnny Vallini überragend gehalten, viele individuelle Fehler haben aber zur Niederlage geführt. Wir hatten den Eindruck, einige arrivierte Spieler sahen dieses Turnier anfangs eher als Pflichtaufgabe, denn als Chance, sich für die WM zu empfehlen. Deshalb haben wir ein Meeting einberufen und ihnen eine klare Ansage gemacht. Diese hat dann auch Früchte getragen. Beim Shutout-Sieg gegen Ungarn haben alle eine überzeugende Leistung geboten.“

Goalie Gianluca Vallini überzeugte gegen Polen. © ÖEHV/Bernd Stefan



Welcher Spieler hat seine Chance genutzt, sich für die WM aufzudrängen?

„Ein Matthias Mantinger hat sicherlich eine Empfehlung abgegeben. Er hat sich wie ein absoluter Vollprofi verhalten, auf und abseits des Eises. Bei ihm passen aktuell Einstellung und Leistung. Überrascht hat mich Cortina-Verteidiger Jason Seed. Er hat gezeigt, dass ihm wirklich viel an diesem Nationalteam liegt. Nun bleibt abzuwarten, wie sich diese beiden Spieler, und natürlich auch alle weiteren potenziellen WM-Fahrer, die nächsten Monate in ihren Klubs machen.“


Seed ist einer von vielen Italos im erweiterten Nationalteam-Kader. Welche könnten in Hinblick auf die WM noch dazukommen?

„Wie es aussieht, werden wir mit maximal sieben Italos planen, für einige wird es also eng werden. Die ICE-Stürmer Dan Catenacci und Anthony Salintri waren ja schon dabei, sie haben wir weiter im Auge. Dustin Gazley ist ein Wunschspieler, denn er wäre eine absolute Verstärkung. Bei Adam Capannelli von den Wipptal Broncos gibt es aktuell Schwierigkeiten mit dem Pass. Doch auch ihn haben wir im Blick.“

„Die Spieler müssen zwei der drei Vorbereitungsphasen mitmachen, um eine WM-Chancen zu haben. Stefan Zisser


Inwieweit steht das Grundgerüst des WM-Kaders?

„Ich würde sagen, dass man heute 80 Prozent des Kaders abschätzen kann. Am besten aufgestellt sind wir zwischen den Pfosten, wo wir aktuell die Wahl aus mindestens fünf ausgezeichneten Goalies haben.“


Nach welchen Kriterien wird am Ende gewählt?

„Natürlich in erster Linie nach sportlichen. Allerdings hat uns die Vergangenheit gezeigt, dass Einsatz, Leidenschaft und Wille entscheidend sind. Ein Spieler muss unbedingt für Italien auflaufen wollen. Deshalb haben wir als Auswahlkriterium festgelegt, dass die Spieler mindestens zwei der drei Vorbereitungsphasen im November, Dezember und kommenden Februar mitmachen müssen, um überhaupt WM-Chancen zu haben. Ausnahmen gibt es natürlich bei Verletzungen oder nicht gewährten Freigaben von den Klubs. Ich bin überzeugt, dass Italien beim Turnier in Bozen ein richtig starkes Team stellen wird. Die Qualität haben wir, auch wenn im Jahr 2023 vieles nicht nach Wunsch gelaufen ist.“

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