Olympische Schieflage im Eishockey

Es ist kein Ende in Sicht und der Winter eigentlich längst vorbei. So allmählich bereiten wir uns nämlich schon auf den Sommer vor. Zumindest ein paar Tage Ferien in sonnigen Gestaden mit Strand und Meer sind bereits gebucht. Trotzdem fährt der Sport noch immer eisige Krallen aus. Respektive scharfe Kufen. Eishockey heißt das Zauberwort und unter einer Weltmeisterschaft geht diesbezüglich gar nichts.

Schon in den kommenden Tagen geht es wieder los. In Prag und Ostrava. Dabei war doch gerade eine Weltmeisterschaft. Stimmt. Irgendwie. Denn in der etwas nachlässigen Terminologie hieß es tatsächlich in den vergangenen Tagen sehr oft: Die Eishockey-Weltmeisterschaft in Bozen. Der Zusatz, dass es dabei um die erste Division ging, wurde gerne vergessen oder auch vernachlässigt. Außerdem ist auch dies Augenwischerei, denn was als Division I verkauft werden müsste, ist eigentlich zweitklassig. B-WM eben.

Eishockey ist in Südtirol zuhause Es ging bei dieser Veranstaltung ausschließlich um den Aufstieg in die Weltgruppe und nie um irgendeinen Titel. Wäre die Mannschaft des Gastgebers, wäre also Italiens Eishockey-Auswahl, so gut gewesen wie die Organisation dieses Turnieres, hätte man im nächsten Jahr in Schweden und Dänemark im Oberhaus antreten dürfen. So aber wurde nichts daraus. Der Puck der Azzurri fand zu selten den Weg ins gegnerische Tor. Platz drei. Ungarn und Slowenien stiegen auf. Es ist ernüchternd, wobei es wahrlich nicht an fehlender Unterstützung der Fans lag. Mehr Zuschauer als erwartet, besuchten die Spiele, was wiederum deutlich machte: Eishockey ist in Südtirol zuhause. Neu ist diese Erkenntnis nicht, ich weiß.

Wenn die &bdquo;Füchse“ aus Bozen gegen die &bdquo;Wölfe“ aus Bruneck in der ICE-Hockey-League spielen, geht es immer tierisch hoch her. Es sind faszinierende und stimmungsvolle Lokalderbys. Die Problematik fehlender Qualität im Vergleich zu anderen europäischen Ligen wird dabei trotz des internationalen Zuschnitts dieser Liga (Slowenien, Ungarn, Österreich und Italien) schnell mal vergessen, was aber auch verständlich ist. In diesen Spielen steht der Klub im Vordergrund und das darf und soll auch so sein. Deshalb stehen die Akteure auch während des Winters intensiv im Fokus und wähnen sich möglicherweise schon im siebten Eishockey-Himmel. Auch Italiens ALPS-Hockey-League hat ihre Berechtigung und der Sieg der Rittner Buam in diesem Jahr darf dann auch gebührend gefeiert werden.

Tommaso De Luca kennt die Realität Doch all das sind Scheingefechte. Der weitere Verbleib in der Eishockey-Bedeutungslosigkeit für ein weiteres Jahr fühlt sich auch deshalb so schmerzhaft an, weil der Rausch der Spielzeit mit auch emotional intensiven Begegnungen in einem heftigen Kater endete. Die vielen spannenden Begegnungen sind trügerisch. Es gibt zu viel Kampf und zu wenig Spielkultur. Auch deshalb ist man auch weiterhin mit der Nationalmannschaft nicht gut genug für das Oberhaus.

Dabei legte eines der großen Talente aus Italien, Nationalspieler Tommaso De Luca, in einem Interview bei SportNews.bz schon im Vorfeld den Finger in die Wunde. Der 19-jährige Aostaner spielt beim Schweizer Kultverein Ambri-Piotta am Gotthard und kann so bestens vergleichen: &bdquo;Das Eishockey in Italien ist nicht ansatzweise auf dem Level der Schweiz. Man muss sich schon mächtig ins Zeug legen, um zu beweisen, dass man als Italiener auf Schweizer Niveau spielen kann.“ Es gab noch mehrere Aussagen von ihm, die zu denken geben müssten. Er führte auch aus, dass er Monate benötigte, um sich an das schnelle Spiel der Mannschaft zu gewöhnen. Zudem sieht er sich nicht als Ausnahmetalent: &bdquo;Es gibt Spieler in der Schweiz in meinem Alter, die schon wesentlich weiter sind als ich.“ So spielen die Schweizer Junioren auch in der A-Gruppe bei den U20-Weltmeisterschaften (7. Platz zuletzt im Dezember 2023), während Italiens gleichaltrige Mannschaft in der B-Gruppe lediglich den dritten Rang belegte. Tommaso De Luca, Italiens Toptalent. © Valentina Gallina / IIHF

Das würde freilich noch immer niemanden ernsthaft beschäftigen, wenn nicht, ja wenn nicht in eineinhalb Jahren die olympischen Spiele in Mailand/Cortina wäre. Als Gastgeber ist Italien zum Glück automatisch qualifiziert, denn sportlich hätte man nie den Hauch einer Chance gehabt. In dieser kurzen Zeit ein Team zu formieren, das gegen Kanada, USA, Schweiz, Schweden, Finnland, Tschechien, Slowakei oder Deutschland auch nur einigermaßen konkurrenzfähig sein könnte, ist schier unmöglich, zumal auch die NHL diesmal wieder eine Pause für Olympia macht. Das Turnier in Bozen war deshalb mehr als nur eine brutale Bestandsaufnahme mit erschreckendem Ergebnis.

Zu viele Sportarten unter einem Dach Die Versäumnisse der Vergangenheit mit fehlender, konsequenter Nachwuchsausbildung sind nicht im Hauruckverfahren auszugleichen. Spätestens, als die Olympischen Spiele 2019 in Lausanne nach Italien vergeben wurden, hätte die FISG (Federazione Italiana Sport del Ghiaccio) für Eishockey reagieren müssen. Von den sieben Jahren bis Mailand hat man bislang jedes Jahr tatenlos verbracht. Stattdessen träumte man von vielen sogenannten Italo-Kanadiern, die es ja zahlreich gibt in den Farmteams in den USA oder Kanada.

Im Grunde war dieser Gedanke schon ein Schlag ins Gesicht für den heimischen Nachwuchs. Vielleicht aber ist die FISG-Führung ja auch überfordert, denn unter dem Dach des Verbandes ist das komplette Eis versammelt: Eishockey, Shorttrack, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Curling und Stockschießen. Ja auch Eisstockschießen, das nicht olympisch ist. In vielen Ländern sind die Eishockeyverbände längst eigenständig, was die Bündelung der Kräfte für den Sport sicher erleichtert. Dennoch hat sich Tommaso De Luca entschieden für Italien zu spielen und nicht für die Schweiz, was wohl theoretisch möglich gewesen wäre aber angesichts der Stärke der Schweizer Mannschaft auch ziemlich unrealistisch. &bdquo;Winterspiele im eigenen Land, das dürfen nur wenige Sportler in ihrer Karriere erleben“; meinte er und fügte noch an, dass es im Eishockey noch ganz speziell sei. &bdquo;Wir treten vermutlich gegen die absoluten Superstars an. Das sind wie Götter der Sportart für mich. Da will ich dabei sein.“ Zum Glück ist Tommaso nicht Torhüter.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator der ersten Stunde bei Eurosport (seit 1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Olympische Schieflage im Eishockey

Die sportliche Pleite bei der Aufstiegs-WM im Eishockey in Bozen vergrößert eineinhalb Jahre vor den Olympischen Spielen in Mailand/Cortina die Sorgen in Italiens Eishockey. Unser Kolumnist Sigi Heinrich macht dafür unter anderem auch fehlende Strukturen in der Nachwuchsarbeit verantwortlich.

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