Joachim Löw vergisst Hansi Flick

Von Sigi Heinrich

Er wollte dann doch noch mal der Erste sein. Joachim Löw, trotz seines hohen Amtes als Bundestrainer der deutschen Fußballnationalmannschaft stets nur &bdquo;Jogi“ genannt, verließ das Charterflugzeug nach der Landung in Nürnberg vor allen anderen Spielern. Es war fast ein wenig symbolträchtig, gerade so, als wolle er jetzt alles hinter sich lassen. Auch seine Mannschaft, die bei dieser Europameisterschaft nur eines von vier Spielen gewann. Das ist nicht unbedingt das, was man eine fette Beute nennt. Löw war vor diesem Turnier schon am Ende gewesen mit seinem Latein, zumal er, vielleicht sogar von einer gewissen Ahnung beseelt, seinem Rücktritt zuvorkam. Er war der einzige aller Übungsleiter, der wusste, dass nach der Europameisterschaft ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde.

Andere Kollegen, die ihrer Resultate wegen entlassen wurden, wie der Niederländer Frank de Boer, hatten diese Gewissheit nicht. Löw war, was seine Zukunft betrifft, also nicht mehr abhängig vom Ausgang der Spiele seiner auserwählten Kicker. Und so schien es ihm opportun, noch einmal zu experimentieren, zumal man ihm immer andichtete, dass er kaum etwas mehr liebe, als taktische Varianten zu erproben. Er wurde ja auch zu Zeiten des Jürgen Klinsmann als dessen Souffleur bezeichnet und er führte mit seinen Ideen Deutschland zum Weltmeistertitel 2014. Das bleibt unvergessen. Dieser Titel ist und bleibt das Vermächtnis von Löw. Klar, jetzt sprudelt das noch einmal an die Oberfläche wie die heißen Wasser in Island. Und es ist mehr als nur eine Spur Wehmut dabei im Spiel. Stellvertretend für den Erfolg wird &bdquo;Campo Bahia“ genannt, die Unterkunft der Nationalmannschaft in Brasilien, in der sich der berühmte Mannschaftsgeist aller Aktiven bemächtigte. Es war das totale Verwöhnprogramm für die DFB-Truppe und auch Löw nutzte das medial aus, indem er sich filmen ließ, wie er entspannt die Zehen am Strand ins Wasser hielt. Ganz im Entspannungsmodus, aus dem heraus der Titel entsprang. Nach 2018 hätte Löw gehen müssen Vier Jahre später war es nur ein schnödes Hotel in Moskau, mit dem man vorliebnehmen musste. Keine Extrawürstchen, die gebraten wurden. Einfach nur ein Bett, ein Speisesaal und das Ausscheiden nach der Vorrunde. Es fehlte der Strand, es fehlte einfach alles. Nicht mal ein Geist wachte über den Schlaf der besten deutschen Fußballspieler. Es wäre, das ahnten, ja wussten viele im Umfeld der DFB-Auswahl, nach der Weltmeisterschaft in Russland, der beste Zeitpunkt gewesen, einen Neuaufbau vorzunehmen. Stattdessen gestattete man Joachim Löw mehrere Espressi in seiner Heimat Freiburg zu nehmen. Eine Auszeit. Niemand hatte den Mut, ihm den Rücktritt nahe zu legen. Niemand vom DFB, auch nicht Oliver Bierhoff, der verantwortliche Manager der Nationalmannschaft. Nach dem letzten Espresso verkündete Löw dann, dass er große Lust verspüre, den Generationswechsel einzuleiten, ihn zu begleiten, zumal dem höchstdotiertesten Nationaltrainer der Welt von einem damals schier geblendeten DFB-Präsidenten ein Vertrag bis zum Ende der WM nächstes Jahr vorgelegt worden war. &bdquo;Cambo Bahia“ wurde wieder zum Leben erweckt Er entließ Müller, Hummels und Boateng. Nein, er warf sie in hohem Bogen aus der Mannschaft, um zwei davon reumütig für die EM wieder zurück zu holen. Zur Europameisterschaft, nicht schon vorher, was keine Chance zuließ, sich mit Hummels und Müller noch einmal einzuspielen. Und &bdquo;Campo Bahia“ wurde wieder zum Leben erweckt. Gut, Herzogenaurach ist jetzt nicht gerade ein sonnenverwöhnter Strandabschnitt in Deutschland. Aber es ist der Sitz des deutschen Ausrüsters und so baute man für die geplagten Kickerseelen kleine Bungalows, einen Gemeinschaftsraum und alles, was ein Fußballspieler so braucht, wenn er nicht gerade seiner üppig bezahlten Arbeit nachgeht. Nur, von einem Sandkasten habe ich nichts gehört, was, wenn es wirklich keinen gegeben haben sollte, schon ziemlich nachlässig gewesen wäre. Wegen Erinnerungen und so. Aber es nutzte alles nichts, nicht mal die öffentlich zelebrierten Spaziergänge im Englischen Garten in München direkt vor den Spielen in der Allianz-Arena halfen. Thomas Müller & Co. waren in Herzogenaurach untergebracht. © APA/afp / CHRISTOF STACHE

Fußball-Deutschland ist zweitklassig geworden. Sehenden Auges sind alle mit der neuen und ungewohnten Dreierkette in ihr Verderben gerannt. Es ist nicht das Ende einer Ära, es ist eine brutal harte Landung nach einer Zeit, die zuletzt mehr von Träumen als von Realität geprägt war. Zudem zeigte sich Joachim Löw nicht eben als guter Verlierer. Er richtete nicht einen Satz an seinen Nachfolger Hansi Flick, der unter ihm ja auch Co-Trainer im DFB war, ehe er den FC Bayern in kurzer Zeit zu sechs großen Titeln führte. Natürlich hinterlässt Löw keinen Scherbenhaufen, dazu sind die Spieler viel zu gut, aber eine kleine Botschaft an Flick hätte ihm gut zu Gesicht gestanden. Aber vielleicht hat die tiefe Enttäuschung die Stimmbänder gelähmt. Verständlich wäre es nach 15 Jahren im Amt und einem Ende, das so vieles, was auch gut war, mit einem Schlag vergessen lässt. Das ist schade aber auch in diesem Fall ist das nur das Leben an sich. Es ist und bleibt kein Wunschkonzert. Auch und erst recht im Fußball mit all seinen Unabwägbarkeiten, Überraschungen und Zufällen.

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