Die Angst geht um bei den Tifosi

Das Spiel mit der Angst ist uralt und sorgt immer wieder für Gänsehaut, für fröstelndes Erschauern. Im Kino oder am TV hält man sich plötzlich die Hand vor Augen, wenn es zu spannend wird. Wenn Alfred Hitchcock seine Möwen zu todbringenden Monstervögeln macht, gefriert das Blut in den Adern. Eine Erklärung, warum die lieblichen Geschöpfe plötzlich ihr Verhalten ändern, gibt der Film übrigens nicht her. Das mag irgendwie typisch sein, denn die Angst zu ergründen, gehört wohl zu den schwierigsten Analysen. Wann beginnt sie? Schleicht sie sich ein, kaum wahrnehmbar am Anfang und unkontrollierbar am Ende? Ist sie latent eigentlich immer vorhanden und abhängig auch von der jeweiligen Situation und auch unterschiedlichen Umständen?

Als Uli Hoeneß 1976 beim Elfmeterschießen im Europameisterschafts-Finale zum vierten Elfmeter antrat (nach 120 Minuten Unentschieden gegen die damalige Tschechoslowakei) mag es zunächst keine Angst gewesen sein, die ihn beschäftigte auf seinen Schritten von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt. Aber irgendwas war anders als sonst, wie er später erzählte. Er hat seine Elfer meist platziert in die Ecken geschossen und an jenem Abend in Belgrad fehlte ihm plötzlich diese Sicherheit. Es waren die Umstände, die alles veränderten. Es war das Endspiel. Es ging um den Titel. &bdquo;Ich werde einfach draufhauen“, sagte er zu sich selbst, wie er fast 40 Jahre später berichtete. Er traute sich den Kunstschuss nicht mehr zu. Pure Gewalt sollte an dessen Stelle treten. Das Ergebnis ist bekannt. Der Ball flog in den Belgrader Nachthimmel und noch heute erzählt man sich mit Augenzwinkern, dass er nicht mal bei Aufräumarbeiten im Stadion gefunden werden konnte.

Jorginho scheiterte erneut gegen die Schweiz. © ANSA / ETTORE FERRARI / FRR

Ein wenig Schadenfreude ist da auch im Spiel. Logisch. Die Angst des Schützen vor dem Elfmeter. Sie ist allgegenwärtig. Peter Handkes Roman, &bdquo;die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ ist, was es ist. Ein wenig Literatur, die freilich mit der Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Wer antritt beim Strafstoß spürt die Belastung, die freilich auch unterschiedlich ist. Führt die eigene Mannschaft, fliegt der Ball, meist leichtfüßig bewegt, in die Maschen. Muss er unbedingt ins Tor, sieht die Sachlage schon anders aus. Die Leichtigkeit weicht einer plötzlichen Verantwortung, die den Ball schwerer macht und das Tor irgendwie kleiner. Da beginnt sie, die Umkehrung von Handke. Denn derjenige, der antritt, kommt plötzlich aus dem Tritt, rutscht leicht ab wie weiland Hoeneß. Nur eine leicht falsche Körperhaltung und der Ball verändert die vorgesehene Richtung und fliegt: Vorbei oder über die Querlatte. Der Torhüter ist immer der Held Der Torhüter hingegen ist in einer beneidenswert guten Situation. Hält er die Kugel, ist er ein Held, hält er sie zweimal wird ihm ein Denkmal gesetzt und er wird schier lebendig begraben, weil sich die gesamte Mannschaft über ihn stürzt vor Freude. Wird er vom Schützen verladen, ist das nicht tragisch, denn im Grunde ist er natürlich in der schlechteren Situation. In einigen Untersuchungen kam folgende Quote zustande: 75 Prozent aller Elfmeter werden aus Sicht des Schützen erfolgreich gestaltet. Der Rest bleibt dem Torhüter, der bei erfolgreichem Verhalten oft toll reagiert, aber auch vom Glück begünstigt ist, wenn er zufällig die Ecke wählt, die sich der Schütze ausgesucht hat.

Erstaunlich ist auch, dass Elfmeter meist erfolgreich sind, wenn sie zu einem Unentschieden führen sollen. Und auch noch eine interessante These hat sich herausgeschält. Gerade vor heimischem Publikum scheinen Strafstöße eine besondere Herausforderung zu sein. Die Fehlerquote der Schützen ist hier intensiver, was auch von der Erwartungshaltung des Publikums beeinflusst wird. Der Schütze kann sich davon kaum frei machen- und scheitert. Robbens Fehlschuss &bdquo;dahoam“ Arjen Robbens Fehlschuss beim Champions-League-Finale 2012 in München gegen den FC Chelsea ist ein typisches Beispiel. Ein begnadeter Fußballspieler, der Bällen unvergleichlichen Effet verleihen konnte, ein Kunstschütze fast, versagt auf ganzer Linie. &bdquo;Wir wissen sowieso, wohin du schießen wirst“; soll ihm der Chelsea-Spieler Didier Drogba seinerzeit noch zugerufen haben. Der FC Bayern verlor auch deshalb das &bdquo;Finale dahoam“, wie es so gerne bezeichnet wurde. Und jetzt hat es wieder einen dieser besonderen Kicker erwischt. Der Italiener Jorginho vergab in der 90. Minute den Strafstoß im WM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz, der ihm und seinen Kollegen den Weg in die Wüste geebnet hätte.

Petr Cech parierte 2012 den Elfmeter von Arjen Robben und gewann mit Chelsea die Champions League. © APA/epa / THOMAS EISENHUTH

Schon wieder Jorginho, denn bereits im Hinspiel scheiterte er. Damals noch an Torhüter Yann Sommer. Diesmal knallte er den Ball in bester Hoeneß-Manier in den römischen Nachthimmel. Mit möglicherweise fatalen Folgen, denn nun droht bei weiterem unglücklichem Verlauf sogar das Fehlen bei der WM in Katar. Man kann das kaum glauben nach dem Sommermärchen der Europameisterschaft. Übrigens verschoss Jorginho da auch im Finale gegen England schon einen Elfmeter. Die Angst geht um bei den Tifosi. Wieder eine WM ohne Italien: Undenkbar eigentlich. Jetzt heißt es, ruhig bleiben, denn Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Aber sie lässt sich, seien wir ehrlich, nicht so ganz verdrängen.

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Die Angst geht um bei den Tifosi

Jorginho ist nicht der erste begnadete Fußballspieler, den die augenscheinlich leichte Übung eines Elfmeterschusses überfordert. Unser Kolumnist Sigi Heinrich hat sich mit der Angst des Schützen vor dem Elfmeter beschäftigt und auch ein paar prominente Beispiele gefunden.

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