Kolumne | Vorsicht vor Curacao

Es wird Zeit, mal wieder den Barschrank einer genauen Inspektion zu unterziehen. Was fehlt, um gewappnet zu sein für das nächste Jahr? Das ja bitte bald beginnt. Ein erster Blick zeigt: Soweit alles vorrätig. Doch ein wenig Farbe täte gut. Blau etwa. Und dann, klar, Curacao. Es ist schon ein Weilchen her, so um die gut 50 Jahre, da war der Likör mit Orangengeschmack (von einer Bitterorangen-Unterart aromatisiert), so richtig gefragt. Eine Geburtstagsparty von mir wurde damals ausschließlich mit diesem Getränk, das einen relativ hohen Alkoholgehalt hat, gestaltet. Mehr sag ich nicht. Und nun kommt Curacao vermutlich wieder in Mode, denn die Kicker des kleinen Karibik-Landes (nur 150.000 Einwohner) haben sich für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in den USA, Kanada und Mexiko qualifiziert.

Danke Gianni, denn möglich gemacht wurde dieses kleine Wunder auch durch die Tatsache, dass der Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes (FIFA), Gianni Infantino, das Teilnehmerfeld auf 48 Teams erweitert hat. Das kann, muss aber nicht unbedingt, auch zu Langeweile führen und sportlicher Verwässerung. Wir sollten auf jeden Fall gewappnet sein. Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Insidertipp, den ich noch ganz schwach in Erinnerung habe. Mit Sekt und Orangensaft veredelt, heißt das Getränk mit Curacao dann &bdquo;Grüne Wiese“ oder &bdquo;Grüner Frosch“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, vor allem in Bezug auf den Tag nach der Verkostung. Ich habe auf jeden Fall seit eben jenen Tagen früher Entdeckerzeit der Alkoholmöglichkeiten einen extrem weiten Bogen um Curacao gemacht und um Liköre im Allgemeinen.

In Curacao ist die Freude grenzenlos. © APA/afp / ANGEL BATTA

Auf die Fußballer freue ich mich indes, auch wenn sie vermutlich, egal in welchen Lostopf sie landen, eher geringe Chancen auf viele Punkte haben. Ich muss zugeben, ich weiß nicht, ob sie auf die Niederlande treffen könnten in den Gruppenspielen. Das wäre natürlich irgendwie fast schon genial, denn die Einwohner von Curacao sind ja eigentlich Niederländer, wie auch – natürlich- ihr Nationaltrainer Dick Advokaat. Ihre kleine Insel ist mit der Europäischen Union assoziiert. Curacao ist seit einer Volksabstimmung 2005 ein autonomes Land unter dem Königreich der Niederlande. Die offizielle Amtssprache ist immer noch niederländisch. Mehrheitlich freilich wird Papiamentu gesprochen, eine Kreolsprache aus spanisch, portugiesisch, niederländisch und englisch. Aber Jubel ist sprachlich grenzenlos und vielleicht gelingt ja den Jungs aus Curacao auch die eine oder sogar andere Überraschung. Wir sollten den &bdquo;Grünen Frosch“ nicht vergessen. Sogenannte Exoten, wie noch unerfahrene WM-Teilnehmer gerne genannt werden, könnten den etablierten Teams mitunter ja schon Kopfzerbrechen bereiten, auch ohne Curacao.

Der größte Außenseiter gewinnt Auf die Schnelle fällt mir da der Sieg von Nordkorea bei der WM 1966 im Viertelfinale gegen Italien ein. Pak Doo-Ik hatte Italien im wahrsten Sinn des Wortes mit seinem Treffer den Zahn gezogen (er war im richtigen Leben wirklich Zahnarzt). Vermutlich gab es nie einen größeren Außenseiter bei einer WM als Nordkorea, das seinerzeit ja nur unter größten politischen Winkelzügen überhaupt mitspielen durfte. Jetzt ist alles anders geworden. Italien ist noch nicht mal qualifiziert. Es droht Ungemach. Curacao schon und Haiti auch. Und wieder werden Erinnerungen wach. Henri Francillon. Es ist nicht tragisch, wenn Sie jetzt nicht auf Anhieb wissen, um wen es sich hier handelt. Es ist schlicht der &bdquo;Haiti-Löwe“ der Weltmeisterschaft 1974. Und wieder ist Italien Teil der Geschichte, denn Francillon hielt, nachdem Haiti mit 1:0 in Führung gegangen war, wie der Teufel, auch wenn er am Ende doch noch drei Gegentreffer einfing. Es war der einzige Gruppensieg damals der Italiener. Die Niederlage gegen Polen bedeutete dann das Ende und für den Keeper der Haitianer war es ein Anfang. Oder auch irgendwie ein Ende. Denn ausgerechnet der TSV 1860 München verpflichtete Francillon nach der WM für das Zweitligateam, weil er einen starken Eindruck hinterließ, vor allem eben im Match gegen Italien. Er machte dann nur fünf Spiele, wurde in München nie richtig heimisch und verließ fluchtartig nach nur einer Saison den Löwenkäfig. Er war dann fünf Jahre Senator in seiner Heimat, ehe ihn Unruhen in seinem Land in die USA verschlugen. Entgegen anderer Meldungen lebt er noch in der Nähe von Boston, nachdem er sich als Lieferfahrer und Putzmann durchgeschlagen hatte. Vielleicht, das ist meine Hoffnung, besucht ihn jemand, um auch zu dokumentieren, wie schnell Träume platzen können. (Ich fand damals, dass sich die Münchner auch nicht genug um ihn gekümmert haben, um ihm das Leben in der Fremde zu erleichtern).

Neue Namen werden auftauchen Wir werden auch bei der kommenden Weltmeisterschaft wieder neue Namen kennenlernen, bislang unbekannte Spieler sehen und wir werden uns wundern, wie gut die eine oder andere sogenannte &bdquo;Exotenmannschaft“ das Spiel beherrscht. Viele Länder, von denen wir manchmal nicht zu Unrecht das Gefühl haben, dass sie sich immer weiter voneinander entfernen, sind zumindest im Sport eher zusammengerückt. Auch im nächsten Jahr wird es deshalb wieder heißen: Vorsicht vor den &bdquo;Kleinen“, denn sie können schnell mal über sich hinauswachsen. Vorsicht also vor Curacao. In jeder Beziehung.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Sportlehrer, Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports und wildert gerne auch in ihm gar nicht so fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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