Sprachlos in Doha

Schockiert, fassungslos, entgeistert und auch erstaunt. Am Ende mündet alles in ein Wort: Sprachlos. Es war vielleicht kein gutes Omen, dass sich die gesamte deutsche Abordnung vor dem Auftaktspiel gegen Japan beim Abspielen der Hymne die Hand vor den Mund hielt. Die Spieler auf dem Feld und auch die Trainer und Betreuer am Spielfeldrand. Die Botschaft war klar. Deutschlands Vertreter in Doha wollen sich von der FIFA nicht den Mund verbieten lassen. Es war eine Reaktion auf das Verbot der &bdquo;One Love“-Binde für Kapitän Manuel Neuer. Der größte Fußballverband der Welt, der DFB, fühlt sich zurecht, wie andere europäische Nationen auch, brüskiert und vorgeführt vom Weltverband und setzte ein wirklich gutes Zeichen.

Etwa zwei Stunden später fand die Sprachlosigkeit allerdings eine weitere, weniger erwünschte Fortsetzung. Das Auftaktspiel gegen Japan endete mit einer Niederlage, die kaum in Worte zu fassen war. Die paar Sätze, die den Weg in die Mikrofone fanden, trugen nicht zur Erklärung bei für die nie für möglich gehaltene Schlappe. Die vielen Nebengeräusche im Vorfeld des Spieles wurden als Gründe für das kollektive Versagen herangezogen. Das ist verständlich, weil es natürlich in erster Linie die Spieler, die aufgeboten waren, schützt.

Das DFB-Team setzte ein Zeichen. © ANSA / epa

Aber natürlich macht man es sich in diesem Fall zu leicht, denn der Zwist mit der FIFA raubte zum einen sicher den Akteuren nicht den Schlaf und er hatte auch nichts mit der Niederlage zu tun, denn es gab genug andere Fakten, die den quirligen und bundesligaerfahrenen Japanern zu ihrem Sieg verhalfen. Der ach so liebe Bundestrainer Hansi Flick setzte schlicht und einfach zum Teil auf Personal, das den Anforderungen eines Auftaktspieles bei einer Weltmeisterschaft nicht gewachsen war.

Die Probleme der Abwehr Da war zum einen der kantige Außenverteidiger Niklas Süle, der eigentlich Innenverteidiger ist. Weil er bei Borussia Dortmund zuletzt die Stelle auf der rechten Abwehrseite erhalten hat mangels Platz in der Mitte der Dortmunder Verteidigung für ihn, setzte der deutsche Bundestrainer ihn auch auf dieser Position gegen Japan ein und zwar in Ermangelung eines gelernten Außenverteidigers im Kader. Vielleicht dachte Flick da kurz an das Jahr 2014, als Deutschland in Brasilien Weltmeister wurde mit vier Innenverteidigern, die flexibel eingesetzt wurden.

Unsicherheitsfaktor Niklas Süle. © APA/afp / ANTONIN THUILLIER

Dabei steht ihm im Team ein Weltklasseabwehrspieler für die rechte Seite zur Verfügung. Blöd nur, dass Joshua Kimmich, dessen Karriere auf eben dieser Position begann, da nicht mehr spielen will. Er fühlt sich jetzt als sogenannter &bdquo;Sechser“ in der Verantwortung für das deutsche Mittelfeld. Dabei könnte ihn Flick gut und gerne ersetzen, in dem er Ilkay Gündogan gemeinsam mit Leon Goretzka dort aufbietet, wo sich Kimmich so gerne aufhält. Es würde die rechte Abwehrseite stärken und das Mittelfeld nicht schwächen. Zwei Fliegen könnten mit einer Klappe geschlagen werden.

Und auf der linken Abwehrseite setzt Flick auf David Raum, der auch mehr Mittelfeldspieler ist und definitiv dann, wenn er Verteidiger spielt, sehr offensiv ausgerichtet agiert. Beim entscheidenden Tor der Japaner durch Takuma Asano, der beim VfL Bochum spielt, war Raum weit weg und WM-Neuling Nico Schlotterbeck dann gänzlich überfordert. Er war lediglich Begleitschutz, störte den Japaner nicht und gestattete ihm fröhlich den erfolgreichen Torschuss. Dabei wäre zuvor reichlich Gelegenheit gewesen, auch mit einem in diesem Fall taktischen Foul Asano zu stoppen. Das hätte zwar die gelbe Karte für Schlotterbeck zur Folge gehabt, aber vermutlich kein Tor.

Nico Schlotterbeck (rechts) hatte große Probleme. © APA/afp / ADRIAN DENNIS

Dass Schlotterbeck ein unsicherer Kantonist ist, dürfte Flick auch in einigen Spielen zuvor nicht verborgen geblieben sein. Und auch gegen Japan leistete er sich schon vorher gefährliche Nachlässigkeiten. Die Viererkette war definitiv zu durchlässig. Abwehrchef Antonio Rüdiger war häufig nur damit beschäftigt, Lücken zu schließen, wobei mitunter auch das Verständnis der Kettenglieder untereinander nicht gut war. Auch deren Stellungsspiel in vermeintlichen Abseitspositionen des Gegners war Flickwerk. Der Bundestrainer wird handeln müssen, wenn es gegen die bärenstarken Spanier geht, die Costa Rica förmlich überrollten.

Probleme bei Manuel Neuer Und noch eine Personalie darf man hoffentlich erwähnen, auch wenn viele das dann wohl als Majestätsbeleidigung sehen. Manuel Neuer zeigte zwar zunächst eine Weltklassereaktion, aber er agierte insgesamt dennoch unglücklich. Beim ersten Gegentor lenkte er den Ball vor die Füße des Japaners Ritso Doan und beim Siegtreffer Japans schien er die linke Schulter, die operiert worden war während der Saison und die ihn auch in der Bundesliga pausieren ließ, unwillkürlich schonen zu wollen. Er drehte sie nach innen und machte so den klitzekleinen Weg frei für den Ball ins kurze Eck. Wäre er nur aufrecht am Pfosten stehengeblieben, wäre nichts passiert.

Man ist leider geneigt zu sagen, dass er eine solche Situation früher entschärft hätte. Dennoch – und das sollte nicht vergessen werden bei allen Versuchen, das Unerklärliche zu erklären – hatte die DFB-Elf tolle Chancen durch Gnabry, Musiala, Gündogan oder Goretzka. Zweimal krachte der Ball an den Pfosten oder verfehlte nur um Zentimeter das japanische Tor. Es war nur die vermaledeite mangelnde Chancenverwertung, die den Rucksack, den die Flick-Elf mit zunehmender Spieldauer zu tragen hatte, immer schwerer werden ließ.

Allerdings verzichtete der deutsche Bundestrainer zunächst auch auf den einzigen wirklichen Stoßstürmer Niklas Füllkrug von Werder Bremen, der beim letzten Test gegen den Oman das einzige Tor geschossen hatte. Füllkrug ist zudem der kopfballstärkste Spieler der deutschen Mannschaft und hätte im Sturmzentrum die japanische Abwehr mehr gebunden als Thomas Müller das tat, der kaum Akzente setzen konnte, auch wenn er der kommunikativste deutsche Spieler ist. Die Spielpause vor der jetzt schon entscheidenden Begegnung gegen Spanien wird jetzt geprägt sein von vielen Diskussionen, möglicherweise gar intern ausgesprochenen klaren Worten, die wohl auch in entsprechenden personellen Reaktionen enden werden. Die Zeit der Sprachlosigkeit ist nun definitiv vorbei.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Fernsehpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“, nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Im Fußball begleitete er für die Süddeutsche Zeitung jahrelang den FC Bayern und berichtete von einigen Europameisterschaften. Für Eurosport kommentierte er u.a bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich.

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