Kolumne | Die Wiesn als Therapie

Habe ich alles für die Reise? Diese Frage stellt man sich natürlich stets, wenn wieder mal ein längerer Trip auf dem Programm steht. Dabei geht es natürlich in den meisten Fällen um wichtige Dinge des täglichen Bedarfs. Zahnbürste, frische Unterwäsche, Haargel. Ausweis natürlich. Es muss mit Bedacht gepackt werden, denn die wichtigsten Utensilien fehlen noch. Messer, Fleischklopfer, eine Keule, Holzlatten, ein Spieß und für alle Fälle, denn man weiß ja nie, muss noch eine Rohrzange Platz finden. Das wär´s dann so in etwa. Reisefertig für ein Fußballspiel in der Fremde.

In Hamburg wurden 60 gewaltbereite-Fans von Lazio Rom, die das Match gegen Kiew in der Europa League in der Hansestadt verfolgen wollten, eben jene genannten Gegenstände abgenommen. Sie kamen nicht, um Fußball zu schauen. Sie wollten Randale. Vom Spiel haben sie folgerichtig nichts gesehen, weil die Polizei ihre Absichten durchschaute und die Rucksäcke durchsuchte. Sie wurden festgesetzt und erfuhren erst am Morgen vom Sieg ihrer Mannschaft. Folgt jetzt eine Reaktion ihres Vereins?

Vor dem Spiel gegen Dynamo Kiew: Die Lazio-Spieler halten eine Ukraine-Flagge. © APA/afp / AXEL HEIMKEN

Ginge es nach einem gesunden Menschenverstand, müssten alle, die in Hamburg festgesetzt wurden, jetzt mit einem Stadionverbot in Rom für den Rest ihres Lebens belegt werden. Doch die Vereinsführung blieb bislang leise. Augenscheinlich hat man sich längst mit den auch politisch rechtsradikalen Lazio-Fans engagiert. Bedauerlicherweise ist das noch immer kein Einzelfall und auch kein spezielles italienisches Phänomen.

In jeder Liga gibt es &bdquo;Ultras“, wie das Sammelwort dafür heißt. Fans, die nicht am Spiel ihres Vereins interessiert sind, sondern lediglich darauf aus sind, am Wochenende oder wann auch immer Spiele stattfinden, Gewaltorgien zu inszenieren. Die Vereine schauen meist zu und schieben die Verantwortung der Polizei zu. Die soll gefälligst dafür sorgen, dass vor und nach dem Spiel alles geregelt und ruhig über die Bühne geht. Erhöhtes Kontingent der Ordnungshüter wird gefordert und scheinbar noch immer wie selbstverständlich zur Verfügung gestellt.

Lazio hat eine leidenschaftliche Fan-Kultur. © APA/afp / FILIPPO MONTEFORTE

Aufforderungen an die Klubs, sich finanziell an den Kosten dafür zu beteiligen, prallen regelmäßig an den Vereinen ab, die gebetsmühlenartig darauf verweisen, dass es in diesem Fall um die öffentliche Ordnung geht. Und um diese zu gewährleisten ist der Staat zuständig. Die Vereine verteidigen ihr Budget. Sie geben lieber mehr Geld für neue Spieler aus, als in eine friedvolle Atmosphäre zu investieren. Und der Politik fehlt es an Rückgrat, gegen des Volkes liebste Sportart und deren Vertreter konsequent vorzugehen und das Geld für die immensen Ausgaben einzufordern.

Das Verursacherprinzip Es gäbe aber auch noch eine andere Möglichkeit, die Ausgaben für vermehrte Polizeieinsätze zu miniminieren, indem man die direkt Betroffenen zur Kasse bittet. Alle 60 Lazio-Fans etwa sollten es auch finanziell spüren, wenn sie neben der Zahnbürste noch die Rohrzange einpacken. Verursacherprinzip. Ganz einfach. Die Schweizer Bergrettung etwa hat neulich zwei Vietnamesen unter dramatischen Bedingungen vom Matterhorn geholt. Beide waren mit Turnschuhen unterwegs und leichten Trainingshosen. Ohne den durchaus sehr gefährlichen Einsatz auch für die Retter wären sie erfroren.

Bei Lazio-Spielen geht es zur Sache. © ANSA / FABIO FRUSTACI

Verursacherprinzip. Sie müssen den Einsatz bezahlen. Den Hubschrauber und alle weiteren anfallenden Kosten. Ob Dummheit oder Vorsatz: In beiden Fällen müssen öffentliche Institutionen eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Es kann und sollte auch nicht sein, dass diese Aktionen stets den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Im Falle der Bergrettung muss das selbstverständlich differenziert betrachtet werden, denn es kann auch Einsätze geben, die als Unglück bezeichnet werden können.

Die Wiesn als Therapie Den Lazio-Fans könnte man raten, mal in eine Lederhose zu schlüpfen und statt nach Hamburg nach München zum Oktoberfest zu fahren. Dort nämlich- und das ist eine der größten Errungenschaften des größten Volksfestes der Welt – herrscht eine kaum glaubliche, prickelnd angenehme Atmosphäre. Kaum ein Fest, schon gar nicht in dieser Größenordnung, funktioniert so integrativ wie die Wiesn: Geschlechter, Generationen und Nationen übergreifend.

Es wäre lehrreich und brächte ihnen neben einem vielleicht veritablen Kater auch die Erkenntnis, dass das Leben auch eine andere Seite abseits von Rohrzangen und Klappmessern hat. Riesenbrezen, Blasmusik, saftige Hendl, Steckerlfisch und eine wohlfeile von stets freundlichen Bedienungen gebrachte frisch Maß Bier sind Wunderwaffen. Beim Oktoberfest gelingen Diversität und Inklusion fast spielerisch. Und noch ein Tipp für die Lazio-Fans. Es gibt das sogenannte &bdquo;Italiener-Wochenende“ auf der Wiesn. Da werden sogar die Verkehrsmeldungen im Radio auf italienisch durchgesagt. Verständlich für alle Lazio-Fans. Benvenuti e saluti.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator bei Eurosport seit der Gründung des paneuropäischen TV-Senders (1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und blickt auch gerne über den Zaun., Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

Serie A Italien	SP	TV	P
1. Milan	14	22:11	31
2. Napoli	14	22:12	31
3. Inter	14	32:13	30
4. Roma	14	15:8	27
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6. Como	14	19:11	24
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Kolumne | Die Wiesn als Therapie

In Hamburg wurden 60 Lazio-Fans von der Polizei vor dem Besuch des Spieles gegen Kiew festgesetzt, nachdem ihnen waffenähnliche Gegenstände abgenommen worden waren. Unser Kolumnist Sigi Heinrich plädiert als Therapie und Strafe dafür, sie zum Oktoberfest nach München zu schicken.

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