Das Wunder FC Südtirol

Es ist wieder jene fünfte Jahreszeit, die man als Südtirol-Fan nicht verpassen darf. Der Übergang vom Herbst hinein in den Winter wird durch Törggelen kräftig unterfüttert. Aus dem Brauch, nach der Weinlese gemeinsam mit Winzern und Erntehelfern zu feiern mit allerlei Spezialitäten der Region, ist längst eine Tradition geworden, die weit über Südtirol hinaus bekannt ist. Und für ein paar Monate im Jahr dürfen dann auch viele Betriebe ihren Buschenschank öffnen. Wo gerade aufgetischt wird, ist übrigens leicht zu erkennen. Busse mit österreichischen oder deutschen Kennzeichen sind ein untrügliches Zeichen für wohligen Genuss. Und der neue Wein lockert dann ja auch die Zunge, so dass heftig diskutiert wird in den Pausen, in denen nicht gerade ein Musiker fröhlich mit seiner diatonischen Harmonika aufspielt.

Der Sport ist natürlich ein beliebtes Thema und ich kann mich noch gut an die vergangenen Besuche zum Törggelen erinnern: Mit dem FC Bayern München, der in Südtirol unglaublich beliebt ist, was ich auch erst lernen musste, ist man immer am Puls der Zeit. Dann kommen natürlich die Milan-Fans oder die Juve-Fraktion. Biathlon und natürlich die allseits beliebte &bdquo;Doro“ werden zum Tischgespräch. Dominik Paris, der Abfahrtsheld, kommt immer gut weg und neuerdings natürlich auch das Tennis-Wunderkind Jannik Sinner. Ein Pusterer als Weltbürger. Man ist stolz darauf, dass er in Monte Carlo lebt und schon Millionär geworden ist durch seinen Sport. Ich habe noch nie eine Stimme der Missgunst gehört. Er hat es geschafft. So ist der Tenor. Ich finde das toll.

Ein Verein als Publikumsliebling Doch Sinner, Paris und Wierer haben jetzt extrem Konkurrenz bekommen. Nicht durch einen anderen Sportler oder eine andere Athletin. Es ist eine ganze Mannschaft, die sich plötzlich Redezeit sichert. Das Wunder FC Südtirol nimmt immer größeren Raum ein. Am vergangenen Spieltag konnte ich das leibhaftig miterleben. Ich stand mit Freunden in meinem Lieblingslokal am Budel. Ein zusammenhängendes Gespräch wie sonst üblich kam diesmal nicht zustande, denn ständig summte irgendein Handy. Der FC Südtirol spielte in Bari. Jede Meldung von dort genoss oben erste Priorität. Und dann brach die Hölle los. Erstes Tor für den Aufsteiger. Dann folgte bald darauf das zweite und die Wortfetzen flogen so schnell hin und her, wie vermutlich der Ball an der italienischen Ferse von einer Seite auf die andere. Ungläubiges Staunen begleitete den Weingenuss. Ein Hoch auf unsere Buam.

Die Erfolge von Jannik Sinner waren in den letzten Jahren Gesprächs-Thema Nummer 1 im Südtiroler Sport. © GETTY IMAGES NORTH AMERICA / JULIAN FINNEY

Dass die Münchner wieder Tabellenführer in der Bundesliga sind nach einem kleinen Minitief ist schon längst keine Diskussionsgrundlage mehr. Die Weltmeisterschaft in der Wüste juckt auch nicht allzu viele im Moment, denn der Champion der Fußballherzen ist derzeit der FC Südtirol in der Serie B. Dann das erste Gegentor. Ist nicht tragisch sagen die Kumpels unisono, denn, so die einhellige Meinung: Zwei Tore habe man ja schon im gegnerischen Kasten versenkt. Und dabei saß Trainer Pierpaolo Bisoli auf der Tribüne und auf den Abwehrrecken Andrea Masiello verzichtete man, um hochkochenden Emotionen in Bari seiner Vergangenheit wegen aus dem Weg zu gehen. Und immer noch führte der FC Südtirol. Die Hauswurst ist kalt geworden, aber die Stimmung hätte nicht besser sein können und sie war auch weiterhin großartig, obwohl Bari ausgleichen konnte. Ein Unentschieden, so raunten sich die neuen Experten wieder zu, wäre ja sowieso auch super, ja fast schon wieder ein Wunder. Dann schien der Gastgeber mächtig auf das Südtiroler Tor zu drücken. Die Nervosität war spürbar. Jetzt bloß durchhalten. Jeder schaute nur noch auf sein Mobiltelefon und man begann die Minuten zu zählen. Und dann der Schlusspfiff. Remis. Auswärts. Hammer. Und man schlug sich gegenseitig auf die Schultern, gerade so, als hätte man selbst mitgespielt.

Der Gegenentwurf zu den Millionären Statistiken werden mit strahlenden Augen mitgeteilt. Zum zehnten Mal ungeschlagen. Beim Blick auf die neue Tabelle geraten alle ins Schwärmen und fangen gar an zu träumen. &bdquo;Wenn das so weitergeht…S“ Und so mancher, der vorher dachte wie viele auch, dass man froh sein müsse, wenn man nur die Liga halten könne, schwadronierte plötzlich frech und unbekümmert über die Serie A. Nichts mehr scheint unmöglich zu sein. Menschen, die sich früher nicht sonderlich für Fußball interessierten, verfolgen den FC Südtirol mit nie für möglich gehaltener Intensität und sind plötzlich absolute Kenner der Szene.

Fabian Tait & Co. sorgten auch in Bari für Furore.

Als Jannik Sinner seine ersten großen Turniere bestritt, eroberte er sich auch eine neue Fangemeinde. Eine ähnliche Entwicklung sehe ich beim FC Südtirol, dessen Erfolge auch außerhalb der italienischen Grenzen wahrgenommen werden. Die Entwicklung vom Landesligaverein zu einem Profiklub, der in der Serie B eine feste Größe geworden ist, wird mit Interesse verfolgt, weil aus vielen Daten herauszulesen ist, dass man mit wirtschaftlichem Sachverstand und Bodenständigkeit auch Erfolg haben kann. Das ist in Zeiten inflationärer Gehälter und Ablösesummen im Fußball ein höchst sympathischer Wesenszug und kann mit Fug und Recht als Gegenentwurf zu Vereinen gelten, die mit Millionen von Scheichs und Investmentgesellschaften alle Jahre wieder auf große Einkaufstour gehen. Der FC Südtirol wirtschaftet so wie die heimischen Firmen auch: Man gibt nur so viel Geld aus, wie man zur Verfügung hat. Dass man mit der besonderen Vereinsstruktur (32 Anteilseigner) auch bestehen kann, ja sogar besser spielt als so mancher Klub, der von einem wohlhabenden Investor finanziert wird, trägt zudem viel zur neu gewonnenen Popularität bei. Der FC Südtirol, so war mein Eindruck, wird als neue Vertretung der Bürger des Landes gesehen. Sportlich, aber auch als gesellschaftliches Ausrufezeichen, auf das die Südtiroler stolz sind. Wir sind, so scheint man sagen zu wollen, wir sind zwar klein, aber man sollte uns nicht unterschätzen. Das macht in der Serie B mittlerweile sicher auch längst keine Mannschaft mehr.

Zum Autor:Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es solle ja für alle etwas dabei sein.

Serie B Italien	SP	TV	P
1. Parma	33	59:32	69
2. Como	33	49:35	64
3. Venezia	33	60:38	61
4. Cremonese	33	43:28	59
5. Catanzaro	33	53:42	55
6. Palermo	33	58:48	51
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