Kolumne | Die Abwärtsspirale im Fußball

Es war bloß ein Fußball. Nichts Besonderes also möchte man meinen. Doch mein Filius war rundherum begeistert und jonglierte ihn schon knapp neben dem Weihnachtsbaum auf einem Fuß. Insgeheim freute ich mich darüber und lächelte verschämt, aber natürlich musste ich auch mahnen. &bdquo;Vorsicht, die Kerzen“. Obwohl es klirrend kalt war, zeigte er mir draußen vor dem Haus noch ein paar weitere Kunststücke und entlockte mir das Versprechen, dass wir auf jeden Fall im Frühjahr zu einem richtigen Fußballspiel gehen.

In seinem Zimmer hingen ja schon jede Menge Plakate und er war auch stets bestens informiert über die Bundesliga. Inklusive Tabellenstand natürlich. Den veränderte er je nach Bedarf an einer speziellen Tafel, die zu Saisonbeginn einem Sonderheft über Fußball beigelegt war. Das bekam er zum Geburtstag. Und dann war es soweit. Das Spiel. Am Tag zuvor schon war die Aufregung spürbar. Das Thema beim Abendessen war natürlich Fußball und das bevorstehende Match. Der Vereinsschal lag bereit, die Zugfahrkarten besorgte ich schon zuvor.

Fans gehören zum Fußball dazu. © APA / EXPA/JOHANN GRODER

Und ich war auch informiert, weil ich ja die ständige Frage beantworten musste: &bdquo;Papa und was meinst du, gewinnen wir heute?“ Plural. Wir natürlich. Wir sind schließlich Teil der Mannschaft. Logisch. Zur Einstimmung gab es eine Bratwurst. Preislich ok. Unter vier Euro. Das immerhin war schon mal sehr positiv. Und mit dem Platz war mein kleiner Fan auch glücklich. Freie Sicht auf alles, was sich dort unten so tun sollte und auch sonst, denn es war letztlich ein Fußballtag, wie ich Ihn nicht haben wollte.

Nebel über dem Spielfeld Das Spiel begann schon mal zu spät. &bdquo;Papa, warum ist das halbe Stadion im Nebel? Ich sehe ja nichts.“ Soll ich sagen, dass sich wieder einmal ein paar Chaoten nicht an die Regeln halten?“ Ich entscheide mich für die gute Variante. &bdquo;Sie schießen aus lauter Vorfreude sogenannte Bengalos ab.“ Ich hätte ihm jetzt einen Vortrag halten können über das Verbot dieser Aktionen und dass dies auch gefährlich ist. Aber nach zehn Minuten war die Sicht frei und das Spiel konnte beginnen.

Plötzlich wurde unterbrochen. &bdquo;Papa, was ist das drüben los? Schlagen die sich?“ Die gute Variante wieder. &bdquo;Nicht so richtig. Die sind bloß unterschiedlicher Meinung und haben ihre Emotionen nicht so ganz im Griff.“ Sollte ich ihm jetzt schon sagen, dass ein Fußballstadion längst ein Kriegsschauplatz rivalisierender Banden geworden ist? Dass die Vereine gegen ihre sogenannten Fans, die das Spiel längst nicht mehr interessiert, nichts tun? Dass sie mögliches Stadionverbot meist vermeiden?

Die dunkle Seite des Fußballs. © APA/afp / CLEMENT MAHOUDEAU

Denn es sind ja große Gruppen, die alle Dauerkarten kaufen, die den Club unterstützen und so tun, als läge dieser ihnen wirklich am Herzen. Dabei wollen sie Woche für Woche nur die Möglichkeit nutzen, um aus ihrem vielleicht tristen Alltag auszubrechen und ihrer Wut auf die Gesellschaft Luft zu machen &bdquo;Das sind die eingefleischten Fans“, erkläre ich meinem Buben. Und schäme mich. Das Match ist für zehn Minuten unterbrochen. Die Polizei hat mittlerweile die Ränge gestürmt und für trügerische Ruhe gesorgt. Es brodelt im Stadion.

Tumulte überall Halbzeit. Wir sind beide ruhig, irgendwie. Die vorher so sehr erhoffte pure, reine Freude über das Spiel ist verloren gegangen. Und Tore sind auch nicht gefallen. Aber es gibt noch eine Bratwurst und die Chaoten sind zum Glück auf der anderen Seite des Stadions. Ich fühle mich noch sicher. Anpfiff zur zweiten Halbzeit. Ein Schiedsrichterpfiff und ein Spieler wälzt sich auf dem Rasen, greift sich an das Fußgelenk. Masseure, Ärzte und Trainer laufen auf das Spielfeld, sogar eine Trage wird gebracht.

Dann fliegen Eisbeutel in die Richtung des Unparteiischen, der von einer Spielertraube umringt wird, obwohl nach neuester Regelauslegung eigentlich nur der jeweilige Kapitän mit ihm reden dürfte. Niemand schert sich darum. &bdquo;Was ist da los“, fragt mich mein junger Fußballfan, der das jetzt nicht mehr versteht. Wieder versuche ich die gute Variante. &bdquo;Die einen meinen, das war ein Foul, die anderen dagegen meinen, das sei nur ein unglücklicher Zweikampf gewesen.“ Ich glaube, meine Antwort wird nicht so ganz akzeptiert.

Selbst die Spieler, die vorher gar nicht auf dem Platz waren, mischen sich ein. Es ist ein Tollhaus. Es gibt dann irgendwann gelbe Karten, rote Karten und das Spiel geht weiter. Unentschieden. Von den Rängen drüben, wo vorher so viel Tumult war, geht eine sehr aggressive Stimmung aus. Wir gehen sicherheitshalber schon vor dem Abpfiff. &bdquo;Papa, das war kein gutes Spiel oder?“ Was soll ich sagen? Die Antwort gibt mir mein weises Kind selbst. &bdquo;Wenn das immer so ist, dann finde ich, ist Fußball kein schönes Spiel.“ Eine einfache Wahrheit.

Der Morgen danach Zum Glück liest er morgens noch keine Tageszeitung, sondern erledigt noch schnell die gestern vergessenen Hausaufgaben. Ich drücke ein Auge zu. Mindestens eines. Im Sportteil wird das Match noch einmal nachbearbeitet. Dabei hat das mit Sport schon lange nichts mehr zu tun. Und es kommt heraus, dass auch unflätige Worte gefallen sind. Keine, die man einem Kind zeigen sollte. Später werden Sperren ausgesprochen und die Akteure geloben Besserung und äußern fadenscheinige Entschuldigungen.

Sogenannte Experten beurteilen die gar nicht mal so besondere Situation, denn im Grunde spielt sich dies Woche für Woche so ab. Überall. In großen und in kleinen Stadien. In den Topligen und in der Kreisklasse. Die Lust am Kicken hat mein Filius zum Glück nach diesem ersten Besuch im großen Stadion nicht verloren. Ich fahre ihn weiterhin zweimal in der Woche zum Training und bin froh, dass in seinem Verein ein Trainer arbeitet, der Fairplay und gutes Benehmen schätzt. Die großen Vorbilder hängen derweil nicht mehr im Kinderzimmer. Gut so. Denn die Fiktion ist längst Realität.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreites des Sports und wildert darüber hinaus auch gerne in gar nicht so fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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