Vom Klettersteig zum Bouldern

Endlich wieder eine Dienstreise. Sogar nach Südtirol. Perfekt. Es geht zum Boulder-Weltcup in Brixen. Bei mir weckt dies wunderbare Erinnerungen, die fast aus einer anderen Zeit zu sein scheinen. Ich war noch ein junger Mann mit großen Träumen. Sportstudent, immatrikuliert an der Technischen Universität München. Jeden Tag aktiv Sport und Vorlesungen über Sport. Jede Minute war ein Erlebnis, abgesehen von den Prüfungen am Ende der Ausbildung. Schwimmen, Leichtathletik, Fußball und Handball. So nebenbei gab es dank ordentlicher Schwünge auch die erste Stufe zum Skilehrer.

Als Schwerpunktfächer hatte ich als ehemaliger, einigermaßen hoffnungsvoller und am Ende doch hoffnungsloser Kunstturner natürlich Turnen gewählt. Riesenfelgen, Salti auch doppelt, Schrauben und Kreisflanken waren ja kein Problem. Das Wahlfach Tennis war hingegen eine Herausforderung. Aber nach drei Jahren mit den besten Lehrern klappten dann auch Rückhand (einhändig) und Volley zufriedenstellend. Am Aufschlag müsste ich noch immer feilen. Es ist mehr ein Einwurf geblieben. Dann ging mir die Nähmaschine So vieles ist noch so gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen. Vor allem gilt dies für das Erlebnis Südtirol. Es war nämlich Pflicht, einmal in den Semesterferien eine Wandertour zu absolvieren. Verschiedene Schwierigkeitsgrade wurden angeboten. Ganz oben auf der Skala standen Klettersteige in den Dolomiten. Klar irgendwie, dass ich mich dafür eingeschrieben habe. Und so lernte ich den &bdquo;Oskar-Schuster-Steig“ kennen, den &bdquo;Pisciadu-Klettersteig“ und den &bdquo;Pößnecker-Klettersteig“. Nach dem Studium umrundete ich noch die cima Brenta.

Ich weiß noch heute, wie einer meiner Studien-Kollegen erkannte, dass ich mich anfangs nicht so sonderlich wohl fühlte in den ausgesetzten Eisenleitern. Und vielfach war ja nur eine Seilsicherung möglich und klettern musste man im Felsen. &bdquo;Sigi, weit, sehr weit unter dir ist Italien. Ich würde dir raten, nicht loszulassen.“ So frotzelten sie, während mir die Nähmaschine ging (will heißen, mehr Angst als Vaterlandsliebe) und zwar ordentlich. Zum Glück besserte sich das Tag für Tag und am Ende der Woche am Fuße des Langkofels war jeder Tritt und jeder Griff die reinste Wohltat, verbunden mit einem bis dahin nie gekannten Glücksgefühl, ja fast schon Euphorie.

Michael Piccolruaz ist Südtirols erfolgreichster Kletterer. © POOL / -

Leider ist die aufkommende Leidenschaft für die Berge dann dem beruflichen Fortkommen zum Opfer gefallen, was ich heute noch immer bedauere. Umso mehr war ich begeistert, als ich am 14. Juli 1990, kurz nach der Gründung von Eurosport , ausgewählt wurde, um die Übertragung vom 125-jährigen Jubiläum der Erstbesteigung des Matterhorns zu kommentieren. Sieben Stunden dauerte die Sendung. Seitdem ist auch Ulrich Inderbinen für mich ein Begriff. Der Schweizer aus Zermatt stieg damals als 90-Jähriger zum 370. Mal auf das Matterhorn, begleitet von vielen Kameras. Kletterhallen schießen wie Pilze aus dem Boden Touristen, die er auf den Schweizer Nationalberg führte, sagten einmal: &bdquo;Wenn sie langsamer gehen wollen, dann suchen sie sich einen älteren Bergführer.“ Inderbinen wurde 104 Jahre alt. Er hätte sich sicherlich gefreut, wenn er noch erlebt hätte, wie sehr die Jugend weiterhin mit Begeisterung zum Klettern geht, wobei es jetzt eben nicht mehr stets notwendig ist, in eine Wand einzusteigen. Mittlerweile schießen nämlich Kletterhallen wie Pilze aus dem Boden. Meist sind sie architektonisch ansprechend von außen gestaltet wie etwa die Vertikale in Brixen. Der Innenbereich entpuppt sich dann als schier unüberschaubares Gewirr von Griffen und sogenannten &bdquo;Volumen“ aus Fiberglas oder Holz.

Klettern (wie hier beim Weltcup in Salt Lake City) erfreut sich immer größerer Beliebtheit. © GETTY IMAGES NORTH AMERICA / ANDY BAO

Wir klettern unter einem Hallendach. Im &bdquo;Vorstieg“, auch Leadklettern genannt oder ohne Seil und Haken. Nur 4.50m hoch, wobei die Beine nicht höher als 3.50m sein dürfen. Wir &bdquo;Bouldern.“ Aus dem Englischen übersetzt ist ein Boulder ein Felsblock. Seit Klettern eine olympische Disziplin ist, erlebt die Variante Bouldern einen riesigen Zulauf. Bei einem Spaziergang um Brixen herum habe ich gesehen, dass auf den Spielplätzen jetzt nicht mehr nur die üblichen Rutschen und Gerüste stehen, sondern kleine Kletterwände mit Plastikgriffen. Die Jugend nimmt das Angebot an, unterstützt auch von der Einsicht der Pädagogen, dass Bouldern ein perfektes Ganzkörpertraining ist. Der Kugelstoßring, immer unausweichlich beim Bau neuer Schulsportanlagen, hat ausgedient. Parallelen zum Biathlon-Weltcup in Antholz In Brixen gehört der Besuch der Vertikale bereits zum Sportunterricht. Das ist vorbildlich. Und jetzt haben alle Kletterfans die Chance, die weltbesten Sportlerinnen und Sportler in diesem Metier aus aller Nähe zu beobachten. Die starken Japaner (Tokio hat die größte Dichte an Kletterhallen), oder die schier unschlagbaren Girls aus den USA: Die Weltelite ist fast komplett vertreten.

Von der Teilnehmer-Qualität ist der Boulder-Weltcup in Brixen gleichzusetzen mit dem Biathlon-Weltcup in Antholz oder den Skirennen in Gröden, Alta Badia und am Kronplatz. Südtirol hat mit dem Boulder-Weltcup eine weitere hochklassige sportliche Attraktion hinzugewonnen. Es bleibt zu hoffen, dass es kein einmaliges Erlebnis bleiben wird in dem Land, dessen Berge zum Weltkulturerbe gehören. Einen besseren Platz für die Kletterelite kann es kaum geben.

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